Flüchtlinge: Noch 200.000 auf der Balkanroute

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Nach Deutschland führt auch Österreich Grenzkontrollen ein. Allein am Montag kamen bis zu 25.000 ins Land. Mit der jüngsten Welle sind es nun rund 40.000 Menschen.

Wien. Die Flüchtlingssituation hat sich seit Sonntag verschärft. Die Situation an den Grenzen ist angespannt. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

1 Wie dicht sind die Grenzen zwischen den Staaten wirklich?

Die Bundesregierung entschied, dass es zu einem Assistenzeinsatz mit bis zu 2200 Soldaten im Grenzgebiet, vor allem im Burgenland, kommen soll. Diese sollen aber primär der Polizei helfen oder humanitäre Aufgaben erledigen. Kontrollen an den Grenzübergängen dürfte es auch geben. Diese Maßnahmen sollen helfen, den Ansturm in geregelte Bahnen zu lenken. Man kann aber jemandem, der auf österreichischem Boden aufgegriffen wird und Asyl möchte, den Antrag nicht verwehren. Das gilt freilich auch für Flüchtlinge, die von Österreich nach Deutschland weiterreisen und in Bayern aufgegriffen werden.

2 Schickt Österreich Flüchtlinge wieder nach Ungarn zurück?

In den vergangenen Tagen kam es zu keiner einzigen Rückführung nach Ungarn, auch wenn das Land nach den Dublin-Regeln zuständig wäre. Grundsätzlich wird im Einzelfall geprüft, ob die Abschiebung möglich ist. Dabei wird geschaut, ob in dem Land ein ordentliches Verfahren und eine Versorgung sichergestellt sind. Zu so einer Prüfung sind die Behörden auch verpflichtet, wie ein am Montag bekannt gewordenes Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zeigt. Darin betonen die Höchstrichter, dass die Überstellung einer afghanischen Asylwerberin mit mehreren Kindern nach Ungarn noch einmal überprüft werden muss.

3 Wie viele Flüchtlinge halten sich in Österreich auf, und was passiert mit ihnen?

Allein am Montag sollen 20.000 bis 25.000 Menschen von Ungarn nach Österreich gekommen sein, insgesamt sollen sich mit der jüngsten Welle rund 40.000 Flüchtlinge im Land befinden. An der Grenze zu Ungarn kommen noch laufend Menschen an. Wie viele Flüchtlinge trotz der deutschen Grenzkontrollen das Land wieder verlassen haben, ist ebenfalls fraglich. Für die, die noch in Österreich bleiben, schaffen die Behörden laufend neue Kapazitäten für die Unterbringung (siehe auch Seite 6).

4 Wie viele Flüchtlinge sind derzeit noch auf der Balkanroute unterwegs?

Schätzungen der österreichischen Regierung zufolge an die 200.000. Auf der Balkanroute setzte am Montag Panik wegen des Schließens der Tore ein. Zehntausende strömten in den Norden, bevor Ungarn seine Einwanderungsgesetze verschärft und die Grenze zu Serbien dicht macht. Wie „Die Presse“ aus Regierungskreisen erfuhr, drängten am Montag 20.000 Menschen von Serbien nach Ungarn. In Ungarn hielten sich zunächst noch 40.000 bis 80.000 Flüchtlinge auf. Die ungarischen Behörden leiteten viele nach Österreich weiter. 6000 Migranten machten sich auf den Weg von Mazedonien nach Serbien. In Griechenland träumen geschätzte 30.000 Flüchtlinge von Deutschland, in der Türkei warten 50.000 auf ihre Überfahrt nach Griechenland.

5 Was passiert, nachdem Ungarn die Grenze zu Serbien geschlossen hat?

Ungarn machte seine Grenze am Montagnachmittag dicht. Amnesty International warnt vor einer humanitären Katastrophe in Serbien. Die Sicherheitsbehörden erwarten, dass schnell Ausweichrouten über Kroatien und Slowenien entstehen, denn der ungarische Grenzzaun ist nur 175 Kilometer lang. Wer die Absperrung durchbricht, dem drohen drakonische Strafen. Illegalen Einwanderern drohen bis zu drei Jahren Haft. Ungarn setzt das neue verschärfte Einwanderungsgesetz am heutigen Dienstag in Kraft.

6 Was läuft auf europäischer Ebene,  um das Problem zu lösen?

Bei den gestrigen Verhandlungen der EU-Innenminister in Brüssel gab es laut dem deutschen Innenministers Thomas de Maizière eine „Grundsatzeinigung auf insgesamt „160.000 Flüchtlinge zur Umverteilung“. Welche Länder wie viele Flüchtlinge aufnehmen sollen, wurde offenbar nicht festgelegt. Die Verteilung solle aus Hotspots erfolgen und beziehe sich nicht auf jene, die schon hier sind. Auf einer gemeinsamen Liste sicherer Herkunftsstaaten seien alle Westbalkan-Staaten enthalten, die Türkei sei vorerst ausgenommen. Griechenland sei erstmals zur Errichtung eines oder mehrerer Hotspots bereit. Die Kommission solle dazu binnen einer Woche Vorschläge vorlegen. Eine endgültige Entscheidung sei für den 8. Oktober geplant. (aich, cu, eko, strei, wb)

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2015)

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