Flüchtlingskrise: Tusk beruft EU-Sondergipfel ein

EU-Ratspräsident Donald Tusk
EU-Ratspräsident Donald Tuskimago/Xinhua
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Am Mittwoch sollen Staats- und Regierungschefs Einigung erzielen. Lettland akzeptiert die von EU vorgeschlagene Flüchtlingszahl.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder machen die Flüchtlingskrise zur Chefsache und kommen deshalb am nächsten Mittwoch (23. September) zu einem Sondergipfel zusammen. Das teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter mit. Für Dienstag ist bereits ein Krisentreffen der EU-Innenminister zum Thema angesetzt.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten den Sondergipfel am Dienstag gemeinsam beantragt. Er soll Mittwochabend um 18 Uhr (MESZ) in Brüssel beginnen. Das Problem der Flüchtlingsaufnahme könne "nur gesamteuropäisch gelöst werden", sagte Merkel vor zwei Tagen. "Wir können nicht bis Mitte Oktober warten" - dann steht der nächste reguläre EU-Gipfel auf dem Programm.

Auch Faymann hatte am Donnerstag bei einem Besuch bei seinen Amtskollegen in Kroatien und Slowenien erneut die Einberufung des Gipfels gefordert. "Die Flüchtlingsfrage ist eine gesamteuropäische  Herausforderung, die nicht nur einzelne Länder etwas angeht", erklärte er in Zagreb. Es sei "wichtig" bei Europäischen Rat ein "klares Zeichen" zu setzen. Faymann zufolge bedarf es der Schaffung einer gemeinsamen EU-Außenpolitik, um die Flüchtlingslager in
Jordanien, im Libanon und in der Türkei zu finanzieren. Die EU müsse es auch schaffen, gemeinsam die Außengrenze in Griechenland zu schützen und gleichzeitig das Asylrecht zu respektieren. Das heißt laut Faymann, sogenannte Hotspots einzurichten.

Die EU-Staaten sind über den Umgang mit den Flüchtlingen und ihre Verteilung tief zerstritten. Vor allem die Balten und die Staaten in Mittelosteuropa sperren sich dagegen, per Quote bestimmte Flüchtlingskontingente zugewiesen zu bekommen. Während einige Staaten die Einwanderer einfach durch ihr Land reisen lassen, hat Ungarn seine Grenze vollständig dichtgemacht.

Lettland will 776 Flüchtlinge aufnehmen 

Am Donnerstagabend hat die lettische Regierung der von der EU für sie festgelegten Flüchtlingszahl am Donnerstag zugestimmt. Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma sagte nach einer Sondersitzung ihres Kabinetts, die Regierung sage "freiwillig" die Aufnahme von 526 Flüchtlingen zu. Zuvor hatte Riga sich schon bereit erklärt, weitere 250 Flüchtlinge aufzunehmen.

Der Entscheidung vom Donnerstag ging ein von Präsident Raimonds Vejonis erlassenes Dekret voraus. Darin drängte der Staatschef die Regierung, sich nach wochenlangen Streitereien zu einigen. Drei der 13 Regierungsmitglieder brachen die Kabinettsdisziplin und stimmten gegen die Vorgabe der EU.

Welches Land nimmt wie viele auf?

Nach dem Willen Deutschlands und Österreichs soll es auf dem EU-Sondergipfel neben der Aufteilung der Flüchtlinge gehen, auch um mehr Hilfe für die Herkunftsländer sowie den schnellen Aufbau sogenannter Hotspots in  Griechenland und Italien gehen. In solchen Zentren sollen Flüchtlinge mit Hilfe von EU-Beamten identifiziert und registriert werden und Asylanträge stellen können. Wirtschaftsflüchtlinge sollen direkt von dort abgeschoben werden.

Anfang der Woche hatten sich die Innenminister der EU-Staaten lediglich im Grundsatz auf die Verteilung zusätzlicher 120.000 Flüchtlinge  in Europa geeinigt. Unklar ist jedoch, welches Land wie viele Menschen aufnimmt.

Hahn warnt vor neuem "Eisernen Vorhang"

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn kündigte unterdessen an, EU-Mittel im Umfang von einer Mrd. Euro für die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise locker machen zu wollen. Hahn sagte am Donnerstag in Brüssel, er wolle die EU-Vorbeitrittshilfen so umschichten, dass sie geografisch für Flüchtlinge verwendet werden. Hahn warnte in Anspielung auf Ungarn vor einem neuen "Eisernen Vorhang" in Europa.

"Eiserne Vorhänge entsprechen nicht dem europäischen Geist", betonte Hahn. Der EU-Kommissar sagte, in seinem Büro hänge ein Foto vom Schnitt durch den Eisernen Vorhang vom damaligen österreichischen Außenminister Alois Mock gemeinsam mit Ungarns Außenminister Gyula Horn drei Monate vor der Grenzöffnung im Juni 1989.

"Ich habe Sorgen, dass in Teilen Europas wieder ein unsichtbarer Eiserner Vorhang errichtet wird", so Hahn. Dagegen werde er sich wehren. Man müsse sich über die langfristigen Konsequenzen im Klaren sein. "Europa funktioniert nur, wenn es Mobilität gibt, nicht nur physische, sondern auch geistige Mobilität."

Insbesondere warnte der EU-Erweiterungskommissar davor, die Flüchtlingskrise auf die Westbalkan-Staaten abschieben zu wollen. Diese seien eine Enklave innerhalb der EU. Jeder Flüchtlinge, der auf dem Westbalkan ankomme, habe zuvor eine EU-Außengrenze überquert. Daher dürften die Westbalkanstaaten auch nicht für laxe Grenzkontrollen verantwortlich gemacht werden. Der EU-Kommissar räumte ein, dass Griechenland europäische Unterstützung zur Sicherung der EU-Außengrenze brauche.

"Das ist nicht fair"

Die Westbalkan-Staaten dürften nicht überfordert werden und nicht zu einem "Niemandsland für gestrandete Flüchtlinge" gemacht werden. Vor allem "brauchen wir keine harsche Rhetorik", sagte Hahn in Anspielung auf den politische Streit zwischen Serbien und Ungarn. Die EU dürfe nicht ihre Probleme auf die Westbalkan-Staaten abwälzen. "Das ist nicht fair."

Hahn verteidigte den Vorschlag der EU-Kommission, die Türkei zum sicheren Herkunftsland zu erklären. "Die EU-Kommission bleibt bei ihrer Entscheidung. Andernfalls könnte man ja fragen, ob die Türkei noch ein EU-Kandidatenland ist." Hahn sieht diesbezüglich auch den Europarat aufseiten der EU-Kommission. Das Recht auf individuelle Asylanträge sei durch Einstufung als sicheres Herkunftsland nicht aufgehoben, betonte er.

Insgesamt seien in Europas Nachbarschaft 20 Millionen Vertriebene und Schutzbedürftige, ein Drittel der weltweiten Flüchtlinge, sagte Hahn. Die Türkei sei mit zwei Millionen Flüchtlingen ein Schlüsselland. Davon würden aber nur 20 bis 25 Prozent in Flüchtlingslagern leben. Die EU-Kommission erklärte, die bisherige Hilfe für die Westbalkanländer und die Türkei zur Bewältigung des Migrationsdruckes mache 600 Mio. Euro aus.

(APA)

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