Vor dem Treffen der Präsidenten Obama und Xi hat Washington alle regionalen Rivalen im Ringen um das Südchinesische Meer in einer Front vereint.
Washington. Wie jeder Staatsbesuch diente auch jener von Chinas Präsidenten, Xi Jinping, in Washington der Ankündigung symbolischer Vorhaben, deren Details im Unscharfen gehalten werden. Das galt auch für Xis Ankündigung am Freitag, wonach China ab dem Jahr 2017 eine Höchstgrenze für seinen Ausstoß an Treibhausgasen einführen und ein Handelssystem für Emissionszertifikate schaffen wolle.
Dass diese Grenzen voraussichtlich nur für die chinesische Papier-, Stahl- und Zementindustrie gelten sollen, nicht aber für die Energieproduktion, fiel dabei ebenso unter den Tisch wie der Umstand, dass China erst im Jahr 2030 das Wachstum seines Treibhausgasausstoßes zu stoppen verspricht – von einer Verringerung dieses Phänomens mit all seinen negativen Folgen ganz zu schweigen. Bestehende Pläne sehen vor, dass China im Durchschnitt der nächsten zehn Jahre alle zehn Tage ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb nehmen wird. Im Jahr 2040, errechnet das Institute for Energy Research in Washington, wird es um 50 Prozent mehr chinesische Kohlekraftwerke geben als heute.
Zweifel an Xis Reformwillen
Die tatsächliche Bedeutung dieser Ankündigung der chinesischen Führung ist also fraglich. Wesentlich folgenreicher sind jüngste Vorstöße des US-Außenministeriums zur Lösung jenes Problems, das Obama und Xi weder bei ihrem vertraulichen Abendessen am Donnerstagabend noch in ihrer offiziellen Arbeitssitzung am Freitag lösen konnten. Wie das „Wall Street Journal“ berichtet, hat Außenminister John Kerry alle regionalen Konkurrenten Chinas im Ringen um die Kontrolle des Südchinesischen Meeres dazu bewegen können, ihrerseits feindselige Aktionen rund um die umstrittenen Spratly-Inseln einzustellen, falls China dies ebenso tut. Malaysia, die Philippinen, Taiwan und Vietnam haben sich zu dieser Selbstbeschränkung verpflichtet. China baut seit Jahren unbewohnte Inseln zu Marinestützpunkten aus. „Wir müssen unsere Meinungsunterschiede offen ansprechen“, sagte Obama am Freitag vor einer Reihe bilateraler Treffen im Weißen Haus.
Inwiefern Xis Reformversprechen zu trauen ist, bleibt offen. „Ich denke, die Gefahr ist, dass er so viel unbeschränkte Macht sammelt“, sagte der Politikforscher Francis Fukuyama vergangene Woche bei einem Vortrag am Council on Foreign Relations. „Das ist die Achillesferse des chinesischen Systems: Alles hängt von seinen Absichten ab. Ist er ein guter oder schlechter Kaiser?“ Über die Einführung rechtsstaatlicher Grundsätze macht sich Fukuyama keine Illusionen: „Ich habe im April Wang Qishan getroffen, der für Chinas Antikorruptionskampagne zuständig ist. Ich fragte ihn: Glauben Sie, dass die Gerichte in China jemals unabhängig sein werden? Seine Antwort war: niemals. Die Kommunistische Partei muss die Kontrolle behalten.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)