Die Gegenoffensive der afghanischen Sicherheitskräfte zur Rückeroberung der Stadt Kunduz zeigte keine Wirkung.
Zwei Tage nach der Eroberung der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kunduz haben die Taliban ihren Machtbereich in der Region ausgeweitet. Die Extremisten nahmen am Mittwoch eine strategisch wichtige Militärbasis am Nordrand der Stadt ein und erbeuteten dabei Waffen und Munition. "Rund 60 Soldaten der Nationalarmee haben sich ergeben", sagte das Provinzratsmitglied Zayed Sadat.
Sein Kollege Aminullah Ayuddin sagte: "Die Soldaten haben ein Abkommen getroffen, wonach sie im Tausch gegen ihr Leben die Hälfte ihrer Waffen und Munition den Taliban überlassen." Die Taliban hätten die Soldaten daraufhin abziehen lassen. Die Basis Bala-e-Hissar war wichtig, um die Straße zum Grenzort Sher Khan Bandar an der tadschikischen Grenze zu sichern.
"Taliban haben die ganze Nacht angegriffen"
Die Gegenoffensive der afghanischen Sicherheitskräfte zur Rückeroberung der Stadt Kunduz zeigte keine Wirkung. Die Taliban rückten stattdessen auf den Flughafen am Stadtrand vor. "Die Taliban haben die ganze Nacht angegriffen", sagte Provinzratsmitglied Sadat. Die Gegend um den Flughafen und das frühere deutsche Feldlager wird bisher von Regierungstruppen gehalten.
Ein US-Militärsprecher in Kabul sagte, US-Streitkräfte hätten in der Nacht zwei Luftangriffe in der Nähe des Flughafens geflogen. In der Gegend von Kunduz sei außerdem eine "begrenzte" Anzahl ausländischer Soldaten, um die afghanischen Sicherheitskräfte "zu beraten und zu unterstützen". Angaben zur Nationalität der Soldaten machte er nicht.
Sadat sagte, zusätzliche Truppen auf dem Landweg würden von den Aufständischen aufgehalten. "Die Verstärkungen aus Kabul und Takhar sind in Hinterhalte geraten und konnten Kunduz nicht erreichen. Ich habe ernste Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, Kunduz zurückzuerobern, wenn sie nicht einmal erfolgreich Verstärkung schicken kann."
Zwei Jahre nach dem Abzug der NATO-Truppen aus Kunduz hatten die radikalislamischen Taliban die Stadt am Montag überrannt. Zuletzt waren dort deutsche Soldaten stationiert. Kunduz ist die erste Provinzhauptstadt, die seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 von den Aufständischen erobert wurde.
Die NATO hatte Ende 2014 ihren Kampfeinsatz in Afghanistan beendet. Die vor allem zu Ausbildungs- und Beratungszwecken im Land verbliebenen gut 13.000 ausländischen Soldaten sollen bis Ende 2016 vollständig abziehen. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte am Mittwoch jedoch erneut, das tatsächliche Ende des Einsatzes, werde von der Sicherheitslage vor Ort abhängen: "Man kann nicht am starren Muster den Rückzug festlegen, sondern wir haben gemeinsam festgelegt, dass wir von der Lage abhängig uns zurückziehen wollen", sagte sie in Berlin.
Präsident Ashraf Ghani hatte der Nation am Dienstag versichert, Kunduz werde zurückerobert. Der afghanische Geheimdienst NDS teilte am Dienstagabend mit, der Schattengouverneur der Taliban für die Provinz Kunduz, Mawlawi Salam, und Dutzende weitere Aufständische seien bei einem Luftangriff getötet worden. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid wies das zurück und sagte, Salam führe den Angriff auf den Hügel an, auf dem der Flughafen liegt.
43 Tote registriert
Der Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte, seit Beginn der Gefechte seien 43 Leichen in die Krankenhäuser von Kunduz gebracht worden. 338 Verletzte seien behandelt worden. Der amtierende Verteidigungsminister Masoum Stanikzai hatte die Zahl der getöteten Sicherheitskräfte am Dienstag auf 17 beziffert.
Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es Berichte über Hinrichtungen in Kunduz. "Ich bin zutiefst besorgt über die Lage in Kunduz nach dem Taliban-Angriff auf die Stadt", teilte der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Nicholas Haysom, mit. Bewohner der Stadt bestätigten die angeblichen Hinrichtungen allerdings nicht.
Ein Taliban-Kommandeur in Kunduz namens Mullah Usman sagte, Regierungsmitarbeiter würden gefangen genommen, aber nicht getötet. Die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) teilte mit, nach ersten Informationen seien bei den Kämpfen um Kunduz mehr als 100 Zivilisten getötet oder verletzt worden. Bis zu 6.000 Zivilisten seien geflohen.
(APA/dpa/AFP)