Polen: „Warschau hat uns stets vernachlässigt“

Szydlo main opposition PiS candidate in upcoming parliamentary election visits farm in Zdzary
Szydlo main opposition PiS candidate in upcoming parliamentary election visits farm in Zdzary(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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Seit Jahren wählt das südostpolnische Vorkarpatien die Partei Recht und Gerechtigkeit, die bei der Wahl am Sonntag auch landesweit siegen könnte. Das Gefühl der Benachteiligung hat das Gebiet zum Hort der rechten Opposition gemacht.

Dukla. Sanfte Hügel, so weit das Auge reicht. Vom Aussichtsturm hoch über dem Dorf Katy kann man sie am besten sehen: die Welt hinter Dukla. So nannte der polnische Reiseschriftsteller Andrzej Stasiuk einen seiner Bände über das dünn besiedelte Grenzland zur Slowakei, das aus kleinen Dörfern mit großen Kirchen besteht, aus winzigen Ackerflächen, von denen viele nicht mehr bearbeitet werden. Was in Stasiuks Beschreibungen romantisch wirkt, ist in der Realität oft trist. „Warschau hat uns stets vernachlässigt“, sagt Jurek. Dann lobt der Gemeindearbeiter die unberührte Natur. Wildschwein- und Fuchsplagen bestimmen das Gespräch, Jagderfolge und die niedrigen Subventionen, die das Bestellen der Hänge unrentabel machten.

Monat für Monat zieht der Grzywacka-Berg mit seinem Aussichtsturm und dem Papstkreuz Hunderte von Pilger an. Mit dem Pfarrer voran ziehen sie den steinigen Kreuzweg hoch und bitten an jeder Station um Vergebung ihrer Sünden. Bei der Bergmesse fallen Worte von Gewicht, zum Beispiel für wen man bei anstehenden Wahlen stimmen soll. Wer von den Bischöfen unterstützt werde und sich dazu im Wahlkampf in weltanschaulichen Fragen mit der katholischen Kirche solidarisiere, habe den Sieg praktisch in der Tasche, erklärt er. So sei das eben hier oben an der Grenze zur Slowakei.

Einen hinterwäldlerischen Eindruck macht der Gemeindehauptort Nowy Żmigród mit seinen 1500Einwohnern allerdings nicht. Vielmehr sticht die neue Gesamtschule ins Auge; auch der renovierte Hauptplatz mit den Laternen und den Sitzbänken verleiht dem einst reichen Handelsstädtchen ein Flair, das man in jenem Teil des Landes, der gemeinhin als PolskaB bezeichnet wird, nicht erwarten würde. Lang ist die Liste der Investitionen seit dem EU-Beitritt vor elf Jahren, die Vizegemeindepräsident Radosław Kujawski stolz präsentiert. Alle Häuser wurden an die Kanalisation angeschlossen, Straßen gebaut, die Trinkwasserqualität hat sich verbessert, und die Vereine bekommen Zuschüsse für ihre Kulturveranstaltungen. Kujawski ist dennoch unzufrieden: „Egal, wie sehr wir uns anstrengen, der Unterschied zu Westpolen bleibt“, klagt er. Westpolen mit seiner guten Infrastruktur sei stärker industrialisiert, biete viel mehr Arbeitsplätze und doppelt so hohe Löhne.

In Gemeinden wie Nowy Żmigród sind Schule und Verwaltung die wichtigsten Arbeitgeber. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Abwanderung beträchtlich. „Unsere Bürger haben bei den Präsidentenwahlen im Mai für die Hoffnung gestimmt“, sagt der Vizegemeindepräsident. Die Mehrheit wolle einfach einen Wandel. Die Zahlen der Zentralen Wahlkommission geben davon Zeugnis. Andrzej Duda, Präsidentschaftskandidat der rechtsnationalen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte im Bezirk Nowy Żmigród in der Stichwahl 81 Prozent erhalten – zehn Prozent mehr als in der gesamten Wojwodschaft Vorkarpatien. Bereits bei den Parlamentswahlen 2007 und 2011 kam die PiS hier auf doppelt so viele Stimmen wie die landesweit seit acht Jahren regierende rechtsliberale Bürgerplattform (PO). Bei den Wahlen vom 25. Oktober dürfte es für die PO noch schlimmer kommen.

Neue Pragmatiker in der Partei

Den herbeigesehnten Wandel bereits miterlebt hat Ewa Sudoł rund hundert Kilometer östlich von Nowy Żmigród an der Grenze zur Ukraine. Jung geblieben und energisch verkörpert die Vizebürgermeisterin von Ustrzyki Dolne jene neue Politikergeneration, die Jaroslaw Kaczyńskis PiS in der Provinz in der Tat einiges an Glaubwürdigkeit verleiht. Vor allem ist es der PiS dort gelungen, neue Gesichter für die Politik zu gewinnen. Viele Jungpolitiker haben so ausgerechnet in der oft als Altherrenklub bezeichneten Rechtspartei eine Chance bekommen, im Kleinen etwas zu bewegen. Viele von ihnen sind wie Sudoł auch weltanschaulich konservativ eingestellt, doch denken sie pragmatischer als die Gründerväter der Partei.

„Der große Fehler der PO ist, dass sie die Wirklichkeit verleugnet hat“, leitet Sudoł zu jenen wirtschaftlichen und sozialen Fragen über, die seit Sommer den Wahlkampf bestimmen. Polen sei eben kein Tigerstaat, vor allem Grenzregionen wie Vorkarpatien nicht. Von einem Wahlsieg der PiS verspricht sie sich mehr Geld für die Bezirke und weniger für das Zentrum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2015)

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