Großbritannien: Cameron schickt Forderungskatalog an Tusk

Britain´s Prime Minister Cameron delivers his keynote speech on the final day of the Conservative Party annual conference in Manchester
Britain´s Prime Minister Cameron delivers his keynote speech on the final day of the Conservative Party annual conference in Manchester(c) REUTERS (PHIL NOBLE)
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Der britische Premier warnt die europäischen Partner vor einem EU-Austritt seines Landes, „wenn wir keine Vereinbarung erzielen“. Schwierige Gespräche in Brüssel sind programmiert; die Stimmung im Land ist gespalten.

London. Ein Liebesbrief ist es nicht. Wenn der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, am morgigen Dienstag das Schreiben der britischen Regierung an die EU-Partner in Händen hält, wird er sich mit einer Reihe von Forderungen konfrontiert sehen. Um zu illustrieren, wie ernst es London dabei ist, wird der britische Premierminister, David Cameron, gleichzeitig in einer Rede warnen: „Wenn wir keine Vereinbarung erzielen und die britischen Sorgen auf taube Ohren stoßen – was ich nicht glaube –, dann werden wir wieder darüber nachdenken müssen, ob die EU richtig für uns ist. Da schließe ich nichts aus.“

Fast drei Jahre, nachdem er im Jänner 2013 in einer Rede erstmals eine Volksabstimmung über einen EU-Verbleib oder Austritt Großbritanniens angekündigt hatte, gab Cameron Mitte Oktober 2015 dem Druck der übrigen 27 EU-Staaten nach und willigte ein, die britischen Positionen endlich schriftlich darzulegen. So will London nach übereinstimmenden Berichten britischer Sonntagszeitungen Verschärfungen der Zugangsbestimmungen für Einwanderer zu Sozialleistungen mit einer Wartefrist von vier Jahren; Garantien für Nicht-Euroländer gegenüber den Euroländern, die ihre Position sichern; ein britisches Nein zum Bekenntnis der fortschreitenden Integration („ever closer union“); und ein Vetorecht nationaler Parlamente über EU-Bestimmungen („Rote Karte“). In all diesen Bereichen sind schwierige Gespräche zu erwarten. Einschränkungen der Sozialleistungen für Migranten stoßen auf erbitterten Widerstand jener Länder, die in den vergangenen zehn Jahren Millionen Arbeitskräfte an Großbritannien abgegeben haben. Wortführer ist hier Polen.

Außenminister Philip Hammond räumte zuletzt ein, dass die britischen Vorstellungen Änderungen des EU-Vertrags „wohl erforderlich machen würden“. Insbesondere Staaten, die London entgegenkommen möchten, wollen dies aus prozeduralen und politischen Gründen möglichst vermeiden.

Gleichberechtigung im Binnenmarkt

Die Garantien der Nicht-Eurostaaten zielen darauf ab, dass Länder, die nicht an der Währungsunion teilnehmen, in Wirtschafts- und Fiskalfragen nicht per Votum zu Schritten wie der Teilnahme an Bail-outs wie in Griechenland gezwungen werden können, im Binnenmarkt volle Gleichberechtigung behalten und bei der Niederlassung keine Diskriminierung erleiden. Der britische Schatzkanzler, George Osborne, und die EZB lieferten sich über Jahre eine Auseinandersetzung, weil die Zentralbank verlangte, dass Euro-Wertpapiergeschäfte nur in der Eurozone abgewickelt werden dürfen. Der Verlust des Clearing-Geschäfts hätte für die Londoner City einen Milliardenschaden bedeutet.

Nicht enthalten im Katalog der Briten sind hingegen Forderungen nach einer Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten. London verlangt auch keine Reduzierung seines Mitgliedsbeitrags oder weitere Einschränkungen der EU-Mittel. Beide Themen werden von britischen Europagegnern ebenso häufig aufs Tapet gebracht wie die rein populistische Forderung nach einer „Rückgewinnung der Kontrolle über unsere Grenzen“.

Cameron steuert den EU-Kurs seines Landes zwischen wütender Ablehnung und lustloser Zustimmung. Die Volksabstimmung soll bis Ende 2017 stattfinden, wird aber bereits im kommenden Jahr erwartet. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zeichnet sich ab: Das Ja-Lager liegt bei 42 bis 45 Prozent, das No-Camp bei 36 bis 40.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2015)

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