Kroatien: Protestpartei als Königsmacher nach der Parlamentswahl

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Der linke und rechte Wahlblock liegen nach ersten Prognosen von Sonntagabend gleichauf. Von der Protestpartei „Most“ wird die Regierung abhängen.

Zagreb/Belgrad. Nur die Außenseiter hatten nach der Parlamentswahl in Kroatien am Sonntag ungetrübten Grund zur Freude: Ein Parteineuling wird nämlich über die neue Regierung entscheiden. Laut ersten Nachwahlprognosen liegen das Mitte-Links-Bündnis von Premier Zoran Milanović und der Rechtsblock von Oppositionschef Tomislav Karamarko gleichauf. Zum Königsmacher wird damit nach ihrem überraschend guten Abschneiden die Reform- und Protestpartei „Most“ (Brücke). 3,8 Millionen Kroaten waren wahlberechtigt.

Die beiden Platzhirsche lieferten sich an dem mit Spannung erwarteten Wahlabend ein totes Kopf-an-Kopf-Rennen. Mit jeweils vermutlich 56 Sitzen im Parlament haben sowohl das regierende Mitte-Links-Bündnis „Kroatien wächst“ als auch die „Patriotische Koalition“ des konservativen HDZ-Chefs Karamarko laut Prognosen die Mehrheit im neuen Sabor verpasst.

Zu einer Koalition mit einer der beiden großen Parteien werde es indes nur kommen, „wenn sie sich zu unseren Reformen verpflichten“, erklärte nach der Veröffentlichung der Nachwahlbefragungen am Sonntagabend Ljubica Ambruseć, eine der Mitbegründerinnen des Parteineulings „Most“. Mit prognostizierten 18 von 151 Sitzen könnte sich die erst vor drei Jahren gegründete Reformpartei auf Anhieb zur drittgrößten Kraft und eigentlichen Weichenstellerin in Kroatiens Parlament mausern.

Parlamentswahl in Kroatien - Exit Poll
Parlamentswahl in Kroatien - Exit Poll(c) APA

Trotzige Konservative

Ein merklich besseres Ergebnis hatte sich vor allem die HDZ ausgerechnet. Die Nachwahlbefragungen seien immer zum Nachteil der HDZ, „die Ergebnisse fallen besser aus“, so erste Reaktionen im Stab der HDZ. „Wir werden eine komfortable Mehrheit erzielen und ohne eine Koalition regieren“, erklärte trotzig der HDZ-Politiker Zeljko Reiner.

Politiker des regierenden Linksblocks signalisierten hingegen in ersten Reaktionen auf die Nachwahlbefragungen die Bereitschaft zu einer möglichen Zusammenarbeit mit dem eher liberal bis wertkonservativ orientierten Parteineuling. „Alles, was Most will, können auch wir unterschreiben“, versicherte der SDP-Politiker Pedja Grbin.

Obwohl offizielle Ergebnisse bei Drucklegung dieser Ausgabe noch nicht vorlagen, scheint sicher, dass erst der anstehende Koalitionspoker über Kroatiens künftige Regierung entscheiden wird. Der Erfolg von Most und der mutmaßliche Parlamentseinzug der eher linksorientierten Protestpartei „Zive Zid“ (lebende Wand) zeigen jedoch, dass die Geduld der Wähler in dem politisch markant geteilten Land begrenzt ist: Die Zeiten, in denen die beiden Großparteien in Kroatiens Endlosmachtkampf zwischen Rechts und Links alleine die Karten verteilen konnten, scheinen vorläufig vorbei.

Verschuldung erreicht Rekordwert

Überschattet wurde der erste Urnengang seit dem EU-Beitritt Kroatiens von der seit 2008 anhaltenden Dauerkrise. Die Jugendarbeitslosigkeit gilt mit knapp 50 Prozent als eine der höchsten in der EU. Die Staatsverschuldung droht nach Einschätzung der EU-Kommission bis 2017 die 90-Prozent-Marke zu überschreiten. Nicht nur die Regierung, sondern auch der aufgeblähte Verwaltungsapparat des Landes zeigte sich zudem auf den EU-Beitritt 2013 nur schlecht vorbereitet: Auch wegen des Mangels an geeigneten Projekten vermochte der EU-Neuling zunächst nur die Hälfte der bereitgestellten Fördermittel auch tatsächlich abzurufen.

Gleichzeitig hat die Flüchtlingskrise das Land hart getroffen: Seit Mitte September haben rund 330.000 Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Mitteleuropa den angeschlagenen Adria-Staat durchquert.

AUF EINEN BLICK

Das jüngste EU-Mitglied Kroatien hat am Sonntag turnusmäßig ein neues Parlament gewählt. Meinungsforscher hatten ein äußerst knappes Rennen zwischen den regierenden Sozialdemokraten (SDP) und der konservativen Oppositionspartei HDZ vorausgesagt. Wer am Ende die neue Regierung bildet, dürften die kleinen Parteien entscheiden. Ihre Zahl ist größer denn je. 3,8 Millionen Bürger waren bei dem Urnengang wahlberechtigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2015)

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