Deutschland: Guido Westerwelles leises Comeback

Äußerlich gezeichnet und innerlich verwandelt meldet sich Guido Westerwelle in der Öffentlichkeit zurück.
Äußerlich gezeichnet und innerlich verwandelt meldet sich Guido Westerwelle in der Öffentlichkeit zurück.(c) REUTERS (HANNIBAL HANSCHKE)
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Nach seiner Krebstherapie präsentiert sich der frühere FDP-Chef und Außenminister nachdenklich und demütig. „Ich habe vor allem einen Plan – zu überleben.“

Eineinhalb Jahre war der sonst omnipräsente Politiker Guido Westerwelle, der bis zur Abwahl der FDP 2013 in der Knochenmühle des Berliner Politbetriebs und der internationalen Diplomatie gesteckt hatte, von der Bildfläche verschwunden. Die öffentlichen Auftritte des ehemaligen FDP-Chefs und früheren Außenministers nach der Krebsdiagnose waren rar und ließen sich an den Fingern einer Hand aufzählen: Mal tauchte er bei einem Reitturnier in Aachen auf, das sein Partner, Michael Mronz, organisierte; mal bei den Salzburger Festspielen, mal zu einer Stippvisite bei seiner Stiftung in Berlin. All dies kostete den Krebspatienten große Überwindung, doch markierten die Termine einen Schritt zurück ins Leben.

In der Zwischenzeit war der Ex-Karrierepolitiker mit seinem Überlebenskampf beschäftigt. Dabei hatte alles harmlos begonnen, mit einer Meniskusverletzung beim Joggen. Nach der Diagnose akute Leukämie, die die Ärzte an der Kölner Uni-Klinik vor einer Routineoperation gestellt hatten, unterzog sich Westerwelle einer langwierigen Krebstherapie, einem Kampf auf Leben und Tod. „So fühlt sich also Sterben an“, habe er öfter gedacht, schilderte er nun freimütig – als der erste Stammzellenspender absprang, als nach der Transplantation eine Infusion einen allergischen Schock auslöste, als sich Minuten wie Stunden hinzogen. „Wie nackt in einer Kühlkammer“ sei er sich vorgekommen.

Für seine Rückkehr in die Öffentlichkeit, für die Vermarktung seiner Biografie „Zwischen zwei Leben“ wählte Westerwelle die großen Bühnen des Landes: ein „Spiegel“-Interview samt Coverfoto, eine Präsentation im Foyer des Berliner Ensembles, des Brecht-Theaters am Schiffbauerdamm, und Günter Jauchs Sonntagabend-Talkshow in der ARD. Bedächtig an der Seite seines Lebensgefährten betrat er bei der Vorstellung des Buchs, zu dem eine Menge FDP-Prominenz erschienen ist, das Podium. „Es geht alles sehr langsam voran“ – zwei Schritte nach vorn, einer zurück – sagt er, um gleich zu relativieren: „Eigentlich geht es mir sehr gut. Vor einem Jahr hätte ich diesen Zustand herbeigesehnt.“

Die Krankheit und die damit einhergehenden Strapazen haben ihn gezeichnet und sich ins Gesicht gekerbt. Gerade erst hat er eine Lungenentzündung überstanden, sein Immunsystem ist noch geschwächt. Aus Angst vor einer Ansteckung verzichtet er auch darauf, Menschen die Hände zu schütteln. Zur Begrüßung klopft er stattdessen mit der Hand auf die Brust – eine Geste, die Hollywood-Stars kultiviert haben.

„Nutze Dein Leben“

Die größten Spuren hat die Krankheit indes in seiner Psyche hinterlassen, und der 53-Jährige scheut sich nicht, sein Leid und seinen Schmerz zu offenbaren. Wo der Politiker – einer der besten Rhetoriker auf der deutschen Politbühne – einst forsch, spöttisch und durchaus auch arrogant aufgetreten ist, wirkt er nun wie verwandelt: leise, nachdenklich, demütig. „Die Identität bleibt, aber man ist ein anderer Mensch geworden.“
Im „Spiegel“ erläutert er seine innere Metamorphose: „Sie freuen sich an den kleinen Dingen des Lebens, wundern sich, worüber Sie sich aufgeregt haben, möchten am liebsten jedem Gesunden sagen: Nutze Dein Leben.“ Im Zuge seiner Therapie habe er viel über das Leben und die Schönheit der Welt gelernt, und darüber, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Sein Buch sieht er als „Lebensbuch“, als Impuls und Ermutigung für Patienten in einer ähnlichen Situation. „Man sucht immer nach einem Strohhalm.“ Patienten bräuchten kein Mitleid, im Übrigen auch kein Selbstmitleid. „Das baut nicht auf, es führt nur zur Selbsttäuschung.“

Die Kontroversen und Konflikte, die Westerwelle als FDP-Chef ausgelöst hat; die Häme über den „Spaßpolitiker“, der sich im Wahlkampf die Zahl 18 als Symbol für sein Wahlziel auf die Schuhsohlen geklebt hat; die Fehler und kleinen Affären, die Tagespolitik – all dies wischt er bei der Buchpräsentation mit einer Handbewegung beiseite: „Wissen Sie, für mich ist das alles so weit weg, so lange her.“ In seinem Buch und im „Spiegel“ lässt er allerdings Stationen seines Lebens Revue passieren – seinen Aufstieg in der FDP, sein Bekenntnis zur Homosexualität, seine politische Beziehung zu Angela Merkel, mit der er zuweilen in einem italienischen Restaurant diniert. An der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, merkt er an, habe er im Großen und Ganzen nichts auszusetzen.

Die große wie die kleine Politik, selbst der Zustand seiner FDP, sind für ihn indessen nur noch Nebensache und keine Herzensanliegen wie sein Plädoyer für Stammzellenspender. Er habe vor allem einen Plan, erzählt er im eindringlichen Plauderton im Berliner Ensemble – zu überleben. „Und mir mein altes Leben Schritt für Schritt zurückzuholen.“

Zur Person

Guido Westerwelle. Neben Hans-Dietrich Genscher, dem langjährigen FDP-Chef, Außenminister und Vizekanzler, in dessen Fußstapfen Guido Westerwelle (53) später treten sollte, galt Guido Westerwelle in den vergangenen 20 Jahren als der Protagonist der deutschen Liberalen: als Generalsekretär, als Parteichef, als Vizekanzler und Außenminister in einer Koalition mit CDU/CSU. 2013 flogen die Freidemokraten aus dem Bundestag, ein dreiviertel Jahr später diagnostizierten die Ärzte akute Leukämie. In der Biografie „Zwischen zwei Leben“ verarbeitet er seine Erfahrungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2015)

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