Die Berliner Reise in das Ungewisse

Deutschlands christdemokratische Bundeskanzlerin, Angela Merkel, stellt sich weiter hinter ihren Innenminister, Thomas de Maizière. Doch die Kluft in der Union wird tiefer.
Deutschlands christdemokratische Bundeskanzlerin, Angela Merkel, stellt sich weiter hinter ihren Innenminister, Thomas de Maizière. Doch die Kluft in der Union wird tiefer.(c) APA/EPA/KAY NIETFELD (KAY NIETFELD)
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In der deutschen Koalition ist ein heftiger Schlagabtausch um den Status syrischer Flüchtlinge entbrannt. Ein Vorschlag des Innenministers entzweit die Regierungsspitze.

Wien/Berlin. „Frau Merkel hatte Herz, aber keinen Plan.“ Einfach und nüchtern kommentierte der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder am Montag bei einer OMV-Veranstaltung in Wien die Flüchtlingspolitik seiner Nachfolgerin, Angela Merkel. Die Grenzen für syrische Flüchtlinge zu öffnen sei zwar richtig und ein Akt der Humanität gewesen. Doch auf die Situation habe man weder in Deutschland noch in Europa rechtzeitig angemessen reagiert.

Die Bundesrepublik ringe, so Schröder, seit jeher mit der Frage, ob es ein Einwanderungsland sein wolle oder nicht. „Man hat sich bisher nicht entschieden.“ Diese Zerrissenheit spiegelt sich auch in der innerdeutschen Debatte wider. Offene Grenzen oder restriktive Politik – noch fährt man zweigleisig. Doch was geschieht, wenn die Prognose von 800.000 Flüchtlingen im Jahr 2015 demnächst übertroffen wird?

Einigte sich die Koalition aus SPD, CDU und CSU erst in der Vorwoche auf ein gemeinsames weiteres Vorgehen in der Flüchtlingsfrage, tanzte ein Regierungsmitglied nur Stunden später aus der Reihe: CDU-Innenminister Thomas de Maizière. Er preschte mit einer Anordnung vor, Syrern nur noch zeitlich begrenzten Schutz zu gewähren. Für Personen aus dem Bürgerkriegsland wäre der Familiennachzug für die Dauer von zwei Jahren somit ausgeschlossen. Darauf hatte sich die Koalition aufgrund der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen erst kürzlich verständigt.

Für de Maizière sind Ordnung und Kontrolle die oberste Maxime. In der Flüchtlingsfrage aber schien der Innenminister schon lang nicht mehr Herr der Lage zu sein. Daher wurde die Kritik an ihm immer lauter. Selbst die Bundeskanzlerin konnte und/oder wollte dem Treiben nicht mehr zusehen. Sie setzte de Maizière einen anderen vor die Nase: ihren Vertrauten, Kanzleramtschef Peter Altmaier. Er sollte fortan die Fäden zum Krisenthema spinnen. Die Republik ergoss sich in Hohn, viele sprachen von einer Entmachtung de Maizières.

Debatte um Familiennachzug

Doch nun bekommt der Innenminister Rückendeckung aus der eigenen Partei, wenngleich sein Vorschlag alles andere als abgesprochen gewesen ist. Zunächst wurde de Maizière noch von Kanzleramtschef Altmaier zurückgepfiffen. Und auch Regierungssprecher Steffen Seibert fühlte sich zu einer Klarstellung bemüßigt: Bei Syrern bleibt alles so, wie es ist. Wie lang noch, steht indes auf einem anderen Blatt Papier.

Seit November des Vorjahres wird Syrern der Status des subsidiären Schutzes fast nicht mehr verliehen. Um den Behörden die Arbeit zu erleichtern, fielen umfassendere Prüfungen aus. Seither erhalten sie eine bessere Stellung als Bürgerkriegsflüchtling. Das soll sich nach dem Willen des Innenministers wieder ändern. De Maizière möchte zu den schon früher angewandten Verfahren zurückkehren. Merkels Schattenkanzler, Finanzminister Wolfgang Schäuble, warnte bereits vor einer unbegrenzten Zuwanderung aus Syrien. Es könnten nicht alle fünf Millionen Bügerkriegsflüchtlinge nach Europa kommen. Mehrere Mitglieder des CDU-Präsidiums stellten sich ebenso hinter den Innenminister und sprachen sich für eine Begrenzung des Familiennachzugs aus. „Wer rechnen kann – anscheinend gehört die SPD nicht immer dazu –, wird erkennen müssen, dass nach den aktuellen Zahlen Familiennachzug nicht weiter so bestehen kann“, sagte CDU-Vizechefin Julia Klöckner. Zwischen Jänner und Oktober stellten rund 104.00 Syrer einen Asylantrag in Deutschland. Schätzungen zufolge könnte ein Familiennachzug die Zahlen um das Drei- bis Vierfache anschwellen lassen.

In der SPD zeigt man sich von dem Ansinnen wenig begeistert. Beim Familiennachzug sehe man keinen Handlungsbedarf. „Der Vorstoß des Innenministers stellt die gesamte Flüchtlingspolitik der Regierung und damit auch der Kanzlerin infrage“, kritisierte Generalsekretärin Yasmin Fahimi. De Maizière genießt bisher jedoch nach wie vor das uneingeschränkte Vertrauen von Angela Merkel.

Auf einen Blick

Deutschlands Innenminister will Syrern künftig nur noch subsidiären Schutz gewähren. Personen mit diesem Status erhalten zunächst eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr, die gegebenenfalls verlängert wird. Zeitgleich hat die Koalition in der Vorwoche beschlossen, den Familiennachzug für Personen mit subsidiärem Schutz für die Dauer von zwei Jahren auszusetzen. Darüber ist nun ein Streit in der deutschen Koalition entbrannt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2015)

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