Reportage: Frankreichs "11. September"

APA/AFP/KENZO TRIBOUILLARD
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"Presse"-Korrespondent Rudolf Balmer berichtet über eine Nacht des Chaos' in Paris und über die Stimmung einer Nacht, in der die Grand Nation erschüttert wurde.

Paris. Chaos und Konfusion herrschte in Paris, als bruchstückhaft und in einer dramatischen Eskalation das Ausmaß des Horrors bekannt wurde. Jeder und jede versucht, an Informationen zu kommen. Verlässliche Angaben gab es zunächst überhaupt nicht. Die Nachrichtensender und die Online-Redaktionen der Zeitung versuchten so gut wie es ging, laufend aus Informationen, Augenzeugenberichten, polizeilichen Meldungen und Gerüchten das Puzzle eines verständlichen Ablaufs der Ereignisse zusammenzustellen Wenn aber etwas so Unfassbares passiert, wie am Freitagabend in Paris, hat man Mühe, der Realität zu folgen.

Viele blieben die Nacht über wach in der Hoffnung, wenigstens mehr und Genaueres zu erfahren über die Täterschaft, über die Motive und die Umstände. Der Mangel an präzisen Informationen war eklatant. Auch Staatspräsident François Holland, der sich kurz vor Mitternacht sichtlich erschüttert von der Tragödie, die Frankreich getroffen hat, an die Nation wandte, hatte erst einige erste Kenntnisse, aber noch keinen Überblick.

Es herrschte ein großes Durcheinander. Mehrere Linien der Metro und Stationen der Pariser Untergrundbahn waren aus Sicherheitsgründen geschlossen worden. Durch die Strassen jagten mit Sirenengeheul bis in die Morgenstunden Ambulanzen und Einsatzfahrzeuge der Polizei. In der Strassen suchten schwerbewaffnete Polizisten nach eventuellen flüchtigen Terroristen. Zugleich versuchten sie, die schockierte Bevölkerung zu beruhigen und einen Anschein von Ordnung zu wahren. Auf den Leuchttafeln der Stadt Paris wurden die Bürger aufgefordert, nicht unnötig auf die Straße zu gehen und zu Hause zu bleiben. Das war fast wie ein Ausgehverbot.

Vor allem wusste ja eben niemand, ob nicht noch weitere Terroristen in Paris unterwegs waren und zuschlagen würden. Mysteriös war auch die Identität der Attentäter. Niemand hat sich zu den blutigen Aktionen bekannt. Bei den Anschlägen an insgesamt sieben Orten und auch bei der Geiselnahme im Konzertsaal wurden keinerlei Forderungen gestellt, laut Augenzeugen hätten die Terroristen nur gesagt, das sei eine Vergeltung für Frankreichs Intervention im Irak und in Syrien.

Entsprechend groß war das Bedürfnis der Bevölkerung zu kommunizieren. Per Telefon, SMS oder Email versuchten die Leute vor allem in Erfahrung zu bringen, ob die Angehörigen und Freunde in Sicherheit waren. Auf Facebook wurde eine spezielle Funktion eingerichte um anderen Nutzern auf einen Blick zu signalisieren, dass man in Sicherheit sei. Auf Twitter boten Pariser Familien den Leuten, die nicht nach Hause heimkehren konnten, spontan ein Obdach an. Wie schon nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" vor zehn Monaten ist eine starke Welle der Solidarität zu spüren.

Groß ist aber jedoch die Angst. Zu Hause oder auf der Straße brachen Leute in Tränen aus. Der Schock ist enorm. Bereits wird in Medienkommentaren ein Vergleich mit dem 11. September in den USA gezogen. Konkret bedeutet das für die Pariser, dass sie sich ganz einfach fragen, wie nun das Leben weitergehen soll. Was hat einen Sinn, welchen Wert hat das Leben, das für solche verblendete Terroristen wie am 13. November in Paris nur ein Dreck ist. Mit Bange blicken viele schon auf den Wochenbeginn: Muss auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule womöglich mit Attentaten gerechnet werden? Was wird das Ganze für Folgen haben. Die Ratlosigkeit verschärft noch den Schock über das Massaker.

Seit Wochen und Monaten hatten nicht nur die Behörden und ihre Antiterrorpolizei mit Attentaten von Dschihadisten gerechnet, auch in der Bevölkerung ahnte man, dass es neuerliche terroristische Verbrechen geben könnte. Was nun geschehen ist, hat die schlimmsten Albträume übertroffen. Paris ist am Samstag früh als Kriegsschauplatz erwacht. Damit muss die Bevölkerung jetzt irgendwie umgehen.

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