Der Albtraum der Geheimdienste

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TOPSHOTS-FRANCE-ATTACKS-PARISAPA/AFP/MIGUEL MEDINA
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Kein anderes Land hat seinem Geheimdienst so weitreichende Möglichkeiten gegeben wie Frankreich. Haben die Behörden versagt, oder gibt es einfach kein Mittel gegen Selbstmordattentäter, die Terror verbreiten wollen?

Militär beim Eiffelturm, schwer bewaffnete Polizisten auf den Champs-Élysées, Polizeiautos vor Notre-Dame – wer heuer im Sommer Paris besuchte, fühlte sich sicher. In kaum einer anderen Stadt in Europa gibt es eine solche Polizeipräsenz auf den Straßen. Und ausgerechnet hier kam es jetzt erneut zu solch verheerenden Anschlägen.

Hat die Exekutive versagt? Haben vor allem die Geheimdienste versagt, die mit neuen Anschlägen rechneten, die sogar davor warnten, die aber von den offenbar minutiös geplanten Angriffen nichts wussten? Oder haben sie seit der Festnahme eines Extremisten in Deutschland Anfang November etwas geahnt, waren aber machtlos?

„Das, was in Paris passiert ist, ist der Albtraum aller Geheimdienste“, meint ein Experte im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Ein Mitarbeiter des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ergänzt, dass man sich auf diese Art von Anschlägen nie wirklich vorbereiten könne. „Wir können ganz spezielle Ziele sehr gut schützen, wir können gefährdete Objekte und Personen schützen. Aber wenn sich die Täter wahllos Opfer aussuchen und selbst bereit sind zu sterben, dann ist man weitgehend machtlos.“

Die Vorgangsweise in Paris, wo Terroristen in der Nacht auf Samstag fast zeitgleich an sechs verschiedenen Orten zuschlugen, erinnert an die Anschläge von Bombay (Mumbai) im November 2008. In der indischen Metropole kam es an zehn verschiedenen Stellen innerhalb kurzer Zeit zu Explosionen, Angriffen mit Maschinenpistolen und Geiselnahmen. In den folgenden zwei Tagen gab es weitere Anschläge und Feuergefechte mit der Polizei, fast 200 Menschen starben.


Kein Angriff aus heiterem Himmel. Doch die Attacke in Paris kam nicht aus heiterem Himmel. Seit dem Angriff auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ im Jänner herrschte in Frankreich die höchste Alarmstufe, die „Attentatswarnung“. Erst Anfang Oktober meinte Frankreichs oberster Anti-Terror-Staatsanwalt, Marc Trévidic, dass dem Land „das Schlimmste noch bevorsteht“. Frankreich sei auch wegen seines militärischen Einschreitens in Syrien zum Feind Nummer eins der Terrormiliz Islamischer Staat geworden.

Der Exekutive und den Geheimdiensten hatte die Regierung im Sommer die weitestgehenden Befugnisse aller Länder Europas gegeben. Das heftig umstrittene Geheimdienstgesetz ist in Windeseile durch das Parlament gegangen. Es erlaubt unter anderem die Überwachung von Telefongesprächen und des Internetverkehrs auch ohne richterliche Kontrolle.

Dass man offenbar dennoch nichts von den Planungen zu den Anschlägen am 13. November 2015 mitbekam, überrascht. Vor allem deshalb, weil es kein kleiner Kreis von Terroristen war. Bei jeder der sechs Attacken dürften mehrere Personen involviert gewesen sein, allein in der Konzerthalle Bataclan waren es vier Terroristen.

Dass man auf einen solch großen Personenkreis nicht aufmerksam wird, der den detaillierten Plan zudem wochenlang vorbereitet haben muss, ist aus jetziger Sicht schwer vorstellbar. Möglich und wahrscheinlich ist daher, dass die Angriffe auswärts geplant wurden und die Personen dann nach Frankreich kamen oder dort rekrutiert wurden.

Ein Indiz dafür ist die Festnahme eines Staatsbürgers aus Montenegro, der am 5. November bei einer Schleierfahndung der Rosenheimer Polizei in Bayern verhaftet wurde. In seinem VW-Golf fanden Polizisten in professionell angelegten Verstecken Maschinenpistolen, zwei Handgranaten, Sprengstoff, Pistolen und Munition. Angeblich – dafür gibt es keine Bestätigung – entdeckte man auch Unterlagen, die darauf hindeuten, dass der Mann auf dem Weg nach Paris war.


Fehler in der Vergangenheit. Was macht man in so einem Fall? „Man erhöht die Sicherheitsvorkehrungen. Aber wenn man nicht weiß, wer involviert ist oder wann zugeschlagen werden soll und wo, wird es schwierig“, meint der Beamte des Verfassungsschutzes. „Der Staat hat für Sicherheit zu sorgen, aber das geht eben nicht immer zu hundert Prozent.“ Wenn es den Angreifern darum gehe, wahllos Terror zu verbreiten, sei man „herausgefordert“, weil man nicht jedes Kaffeehaus und jedes Theater bewachen könne.

Der französische Geheimdienst hatte sich bei den Attacken der Vergangenheit freilich nicht mit herausragender Arbeit hervorgetan. Fast alle Attentäter, die im heurigen Jahr und den Jahren davor Anschläge verübt haben, waren den Behörden bekannt. Nur sind die wieder aus den Maschen des Überwachungsnetzes gefallen.

Die Brüder Saïd und Chérif Kouachi, die Attentäter von „Charlie Hebdo“, waren polizeibekannt, ihre Überwachung wurde aber Ende 2014 eingestellt. Das, obwohl sie sogar dem US-Geheimdienst aufgefallen waren. Der 35-jährige Yacine S. verübte im Juni dieses Jahres einen Anschlag auf ein Gaslager und schnitt seinem Chef den Kopf ab. Er war bereits 2005 auf einer Verdächtigenliste des Geheimdienstes, erneut zwischen 2011 und 2014 – seine Gefährlichkeit hat man aber unterschätzt. Auch der Attentäter von Montauban und Toulouse, Mohammed Merah, der 2012 Soldaten und jüdische Schulkinder ermordet hatte, war den Geheimdiensten kein Unbekannter.

„Es ist sehr schwierig, alle Verdächtigen ständig zu überwachen“, heißt es relativierend beim BVT in Wien. In Österreich gebe es beispielsweise 250 Jihadisten, die man auch nicht alle rund um die Uhr observieren könne.

Jean-Hugues Matelly, Präsident der französischen Polizeigewerkschaft Gendxxi, meinte: „Dass man ein Attentat verhindern kann, ist illusorisch. Das ist ein Risiko, das man akzeptieren und mit dem man umzugehen lernen muss. Der einzige Effekt durch das massive Polizeiaufgebot ist ein psychologischer: Touristen und die Bevölkerung sind auf diese Weise beruhigt.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2015)

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