Warum Frankreich Hauptziel des islamistischen Terrors ist

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Das Land ist wegen seiner Außenpolitik, Kolonialgeschichte – und vor allem seines Wertesystems für Fundamentalisten der „große Satan“.

Fünf Anschläge in einem Jahr: Kein anderes Land im Westen wurde so hart vom islamistischen Terror getroffen wie Frankreich. Am 7. Jänner richteten Extremisten in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris ein Massaker an, zwei Tage später ermordete ein Terrorist mehrere Geisel in einem jüdischen Supermarkt und erschoss eine Polizistin. Im Juni griff ein Islamist eine Gasfabrik bei Lyon an und enthauptete deren Chef, im August verhinderte nur die schnelle Reaktion einiger Passagiere einen Massenmord im französischen Schnellzug Thalys. Und jetzt Paris. Einige Gründe, warum Frankreich Hauptziel der Terroristen ist.


Land im Krieg. Der eindeutigste Grund ist Frankreichs militärisches Engagement im Ausland: Seit der Intervention gegen Islamisten in Mali im Jahr 2013 führt das Land offiziell einen „Krieg gegen den Terror“. Frankreich war eines der ersten Länder, die sich 2014 an der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition beteiligten, die Ziele im Irak und in Syrien bombardierten. Hunderte französische Spezialeinheiten sind im Irak aktiv.


IS-Kämpfer. Aus keinem anderen Land in Europa ziehen so viele junge Menschen nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen: Rund 1700 Franzosen sollen derzeit für den Islamischen Staat kämpfen – doppelt so viele wie aus Großbritannien oder Deutschland. Viele werden trainiert, um in der Heimat Massaker anzurichten: Das war bei einigen der Attentäter von Freitagabend so, beim Attentäter im jüdischen Supermarkt und auch beim Islamisten im Thalys. Aber nicht nur Blutbäder sind das Ziel: „Sie wollen einen Bürgerkrieg provozieren. Sie wollen den Feind Frankreich destabilisieren, indem sie religiöse Gruppen gegeneinander aufhetzen“, sagte Islamismus-Experte Jean-Pierre Filiu dem Radiosender France Inter.


Banlieues und einstige Kolonialmacht. Frankreichs fruchtbarster Boden für radikalen Terror sind die desolaten Vorstädte, die Banlieues: Ghettos, in der meist Migrantenfamilien zweiter- und dritter Generation leben, viele aus ehemaligen Kolonien. Die meisten französischen Attentäter stammen aus jenem Milieu. Viele fühlen sich als Bürger zweiter Klasse behandelt. Bei radikalen Jugendlichen stößt die explizit gegen das „koloniale Frankreich“ gerichtete IS-Propaganda auf offene Ohren: Da wird Paris als „verhasster Wärter des Sykes-Picot-Tempels“ bezeichnet. Gemeint ist die geheime Übereinkunft von 1916, in der die einstigen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich das Gebiet des zerfallenen Osmanischen Reichs unter sich aufteilten – und die Grenzen für die (vom IS nicht anerkannten) modernen Nahoststaaten festlegten.


Der laizistische Staat. Für den IS ist Frankreich der „große Satan“. Dorn im Auge der Islamisten sind freilich die verhasste Freiheit und „sündenhafte Freizügigkeit“ (seit 2013 gilt das Eherecht auch für gleichgeschlechtliche Paare). Radikal abgelehnt wird aber vor allem der strikte Laizismus: Das Verbot von moslemischen Kopftüchern in Schulen (2004) und von Burkas im öffentlichen Raum (2010) hat die Wut der Islamisten auf die Republik noch weiter verschärft: „Sie hassen uns nicht nur für das, was wir machen. Sondern vor allem für das, was wir sind“, sagte ein Politiker.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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