Captagon, die Droge der Terroristen

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FRANCE-ATTACKS-SECURITY(c) APA/AFP/MIGUEL MEDINA (MIGUEL MEDINA)
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Die Attentäter von Paris betäubten sich vor dem Blutbad vermutlich mit Captagon. Doch noch mehr trieb sie die Vorstellung an, alles Gottlose vernichten müssen.

Paris. Obwohl die Ermittlungen zu den Pariser Terroranschlägen rasche Fortschritte machen, bleiben mehrere Fragen offen. Eine davon: Wie können Menschen in derartige Tötungsmaschinen verwandelt werden, die sich am Ende dann auch noch selbst vernichten? Die erste Antwort darauf sucht man in Drogen. Man weiß, dass IS-Kämpfer in Syrien Pillen einnehmen, die nicht nur die Müdigkeit vertreiben, sondern ihnen todesverachtenden Mut geben sollen. Auch der Attentäter, der Ende Juni in Sousse in Tunesien 38 Menschen massakriert hat, stand unter Drogeneinfluss. Er habe bei seinem abscheulichen Blutrausch geradezu glücklich ausgesehen und gelächelt, berichten Zeugen.

Captagon heißt der „Zaubertrank“ der Terroristen. Der medizinische Name lautet Fenethylin. Seit 2011 soll dieses international verbotene Molekül in großen Mengen in Syrien als Doping der Jihadisten, aber auch für den Verkauf in anderen Ländern der Golf-Region, produziert werden. Die Verwendung von Betäubungsmitteln hat im Übrigen eine historische Tradition, die als Vorbild dienen könnte: Schon die schiitische Sekte der „Nizariten“ Ende des 11. Jahrhunderts, deren Krieger mit ihrer blutrünstigen Furchtlosigkeit Angst und Schrecken verbreiteten, wurden wegen ihres Drogenkonsums „Haschischesser“ genannt.

Kampf gegen westliche „Laster“

Es könnte daher sein, dass auch die Attentäter von Paris und Saint-Denis diese Droge, eventuell kombiniert mit Kokain, eingenommen haben. Dazu werden gerichtsmedizinische Untersuchungen Erkenntnisse liefern. Doch die Chemie allein kann das Vorgehen und die Motivation dieser Terroristen keinesfalls erklären. Genauso wie Abenteuerlust, Langeweile oder auch psychiatrische Störungen kaum hinreichende Gründe für Hunderte von jungen Menschen sein dürften, die aus Frankreich nach Syrien, Afghanistan oder in den Irak in den Kampf ziehen.

Man wird nicht darum herumkommen, sich mit der Ideologie dieser „Gotteskrieger“ zu beschäftigen, um ihre Motivation zu verstehen und effizienter zu bekämpfen. Vordergründig geht es um eine Art der „Vergeltung“ für Frankreichs militärische Intervention gegen Jihadisten im Irak, in Syrien, Afghanistan und Mali. Entsprechendes sollen die Terroristen im Bataclan auch von sich gegeben haben: „Unsere Brüder in Syrien sind tot, aber wir sind hier!“ Das sagt aber noch zu wenig aus über die Ideologie, in der sich religiöse Phrasen, geopolitische Ambitionen und ein für uns kaum nachvollziehbarer Rückbezug auf die Geschichte der Kreuzzüge vermischen. Verstanden hat man inzwischen, dass es IS längst nicht „nur“ um die Errichtung eine „Kalifats“ im Nahen Osten geht, sondern um eine weltweite Konfrontation apokalyptischer Dimension.

In ihrem Bekennerschreiben sagen die Hintermänner von IS, Paris sei für sie das Zentrum des „Lasters“. Was für andere die Hauptstadt der Liebe und ein Inbegriff der Freiheit ist, stellt für sie alles dar, was sie als gottlos hassen und vernichten wollen. Da gibt es keine Kompromisse, keine Gnade. Im IS-Propagandaschreiben zu Paris steht: „Wir haben 200 Götzendiener getötet.“

Der Islamwissenschafter Reinhard Schulze, Professor an der Universität Bern, erläutert dazu: „Für sie (IS) gibt es keine unschuldigen Opfer, alle sind schuldig.“ Denn diese Terroristen verstehen sich als Krieger, die eine Art „Gottesdienst“ verrichten, wenn sie die von ihnen designierten Feinde vernichten. Auch das Selbstmordkommando entspricht dieser fanatischen Vorstellung, eine göttlich bestimmte Aufgabe zu erfüllen und dafür als Märtyrer zu sterben. Diese Auslegung entspricht nicht der islamischen Tradition, sondern ist laut Schulze eine jüngere Entwicklung, die uns an apokalyptische Sekten erinnert. Die islamischen Glaubensverbände müssten sich der Tatsache stellen, dass sie mit solchen ultrareligiösen Abweichungen ein Sektenproblem haben, mit dem sie entsprechend umgehen müssten.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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