Polen: Angst vor Kaczyńskis Griff nach „totaler Macht“

Protests in front of the Polish parliament over the Constitutional Tribunal The heated atmosphere in
Protests in front of the Polish parliament over the Constitutional Tribunal The heated atmosphere inimago/Eastnews
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Nachdem die Regierungspartei von Ex-Premier Jaroslaw Kaczyński die Wahl neuer Verfassungsrichter durch das Parlament gepeitscht hat, geht die Opposition auf die Barrikaden.

Warschau. Seit die neue rechte Regierung im Amt ist, geht es in Warschau hoch her. Im Sejm, dem Parlament, und davor formiert sich wütender Protest gegen die PiS, die Partei für Recht und Gerechtigkeit des Ex-Premiers Jaroslaw Kaczyński. „Hände weg vom Verfassungsgericht“, skandierten neulich Demonstranten bis weit nach Mitternacht. Dass die Regierung schlagartig fünf neue Verfassungsrichter bestellt hat, nährt in den Reihen der Opposition, bei Bürgerinitiativen und bei den Intellektuellen des Landes die Sorge vor einer totalen Machtübernahme. Denn nach Präsidentenamt und Parlament gilt die Begehrlichkeit der Partei nun auch der Justiz.

„Weg mit der Verschwörung im Verfassungsgericht!“, lautete hingegen die Losung der nebenan versammelten rechtsnationalen Kaczyński-Anhänger. Wie ihr Idol sind sie überzeugt, dass das bisherige Verfassungsgericht von Liberalen, Freimaurern und Kommunisten unterwandert sei und deshalb gegen polnische Interessen arbeite.

Im Sejm peitschte derweil die Regierungspartei PiS die Wahl von fünf neuen Kaczyński-hörigen Verfassungsrichtern durchs Parlament. Sie sollen fünf im Juni noch vom alten Parlament bestimmte Juristen ersetzen. Vorige Woche hatte die Regierungsmehrheit deren Wahl annulliert – ein verfassungsrechtlich äußerst umstrittener Schritt, denn das Parlament darf in Polen zwar Verfassungsrichter wählen, jedoch keine abberufen. Die Debatte über die neuen PiS-Kandidaten endete in Tumulten, wie sie der Sejm schon lange nicht mehr gesehen hat. „Uns droht ein Staatsstreich wie jener General Jaruzelskis vor 25 Jahren“, wetterte die legendäre Solidarność-Aktivistin und heutige Oppositionsabgeordnete Henryka Krywonos (Bürgerplattform, PO). „Wir schaffen nun endlich Ordnung mit der Verfassung! Wir sind durch das Volk legitimiert!“, antwortete ihr der PiS-Abgeordnete Stanisław Piotrowicz, ein früher in Dissidentenkreisen gefürchteter Staatsanwalt des verhassten, kommunistischen Jaruzelski-Regimes.

Sowohl die regierende PiS wie die heute größte Oppositionspartei, PO, rekrutieren sich vor allem aus ehemaligen Solidarność-Aktivisten. Beiden Parteien haben aber auch Ex-Kommunisten in ihren Reihen. Meist verstecken sie diese eher, doch Kaczyński hat offenbar entschieden, sich deren totalitäre Expertise nutzbar zu machen. So wurde Ex-Staatsanwalt Pietrowicz gar als neuer demokratischer Verfassungsrichter gehandelt.

So sehr wollte die Regierungsmehrheit dann allerdings die Opposition doch nicht provozieren. Unter den fünf neuen Verfassungsrichtern befindet sich nur eine Richterin aus kommunistischer Zeit. Einer von ihnen ist PiS-Abgeordneter. Dass diese fünf neuen Verfassungsrichter unabhängig urteilen können, bezweifelt die Opposition, allen voran die im Oktober abgewählte PO.

Verfassungsrichter „auf Vorrat“

Allerdings ist diese am gegenwärtigen Streit um das Verfassungsgericht nicht unschuldig. Als sich nach dem Wahlsieg Andrzej Dudas (PiS) bei den Präsidentenwahlen im Mai eine Niederlage der PO auch bei den Parlamentswahlen abzeichnete, machte sich die Regierung Ewa Kopacz (PO) schleunigst daran, noch möglichst viele Verfassungsrichter von der eigenen Parlamentsmehrheit absegnen zu lassen. Statt drei Verfassungsrichtern wurden so deren fünf bestellt – zwei davon „auf Vorrat“. Dieses Vorgehen hat Kaczyńskis PiS provoziert. Wer die Macht habe, bestimme eben die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts, höhnt nun PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński und weist darauf hin, dass dies die PO während ihrer immerhin acht Regierungsjahre nicht anders gehandhabt habe. Viele Richter in Polen teilen diese Sicht Kaczyńskis, andere wiederum hatten an Staatspräsident Duda appelliert, die neuen PiS-Verfassungsrichter nicht in ihrem Amt zu bestätigen.

Duda folgte jedoch Kaczyńskis Wunsch und bestätigte die fünf neuen Verfassungsrichter. Zur Vereidigung wurde der angeblich PO-nahe Vorsitzende des Verfassungsgerichtes, das 15 Richter umfasst, gar nicht erst eingeladen. Schließlich entschied das ursprünglich in dieser Angelegenheit von der PiS angerufene Verfassungsgericht, dass die Wahl von zwei Verfassungsrichtern „auf Vorrat“ nicht verfassungskonform war. Damit würde sich im polnischen Verfassungsstreit ein Kompromiss abzeichnen. Doch dazu brauchte es den politischen Willen Kaczyńskis.

AUF EINEN BLICK

Der Streit um die Ernennung neuer Verfassungsrichter hat in Polen den Konflikt zwischen Regierung und Opposition weiter zugespitzt. Die oppositionelle Bürgerplattform (PO) wirft der regierenden Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) vor, eine „totale Machtübernahme“ zu planen. Die PiS stellt mit Beata Szydło die Regierungschefin. Geführt wird die rechte Partei von Ex-Premierminister Jarosław Kaczyński. Die PiS peitschte im Parlament die Bestellung von fünf neuen Verfassungsrichtern durch. Ähnlich hatte früher aber auch die PO agiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)

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