Parlamentswahl: Frontalangriff auf das spanische Establishment

Albert Rivera ist der neue Stern auf Spaniens Polit-Bühne.
Albert Rivera ist der neue Stern auf Spaniens Polit-Bühne.REUTERS
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Bei der Parlamentswahl am Sonntag dürften die Bürger das bisherige Zweiparteiensystem aus Konservativen und Sozialisten abwählen.

Die Karikaturen, die in sozialen Netzwerken zirkulieren, sprechen für sich: Darauf sieht man zum Beispiel Spaniens konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der wie ein Vogel Strauß den Kopf im Sand versenkt. Oder der auf dem Sofa sitzt, während draußen vor der Tür die Schlacht für die Parlamentswahl am 20. Dezember läuft.

Das Bild von Rajoy auf dem Sofa kam dieser Tage der Wirklichkeit ziemlich nahe: Während die Spitzenkandidaten der drei anderen großen Parteien sich im spanischen TV das wichtigste große Rededuell vor der Wahl lieferten, zog Rajoy es vor, sich mit seiner Familie im südspanischen Doñana-Nationalpark zu erholen. Er verfolgte die Debatte aus sicherer Entfernung auf dem Bildschirm – was ihm viel Spott einbrachte.

„Ich möchte Mariano Rajoy begrüßen, der uns gerade zuschaut“, eröffnete Pablo Iglesias, der Kopf der linksalternativen Protestpartei Podemos, ironisch die TV-Runde. Offiziell hatte Rajoy wegen „Terminproblemen“ abgesagt und seine Nummer zwei, Vize-Regierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría, ins Rennen geschickt. Das wahre Motiv war nach Meinung von Rajoys Herausforderern jedoch ein anderes: Der Korruptionsverdacht, der auf dem Partei- und Regierungschef lastet.

Linke lassen Konservative zittern

Revolutionsstimmung statt fremdenfeindlicher Sprüche: Während in vielen europäischen Ländern rechte und rechtspopulistische Parteien aufsteigen, lassen in Spanien derweil neue linke und liberale Protestparteien die Konservativen zittern, die bei der Wahl am 20. Dezember Einbußen zu erwarten haben. In Umfragen liegt Rajoys Volkspartei mit einem Stimmenanteil von 25 bis 30 Prozent vor den Sozialisten, die auf 20 bis 22 Prozent kommen dürften. Die liberalen Cuidadanos (Bürger) können auf 18 bis 20 Prozent hoffen, die Linkspartei Podemos („Wir können“) auf 15 bis 19 Prozent der Wählerstimmen.

Spaniens Parteienlandschaft, in der bisher die regierenden Konservativen und die oppositionellen Sozialisten als Platzhirsche galten, erwartet ein politisches Erdbeben.
Insbesondere der neue liberale Polit-Star Albert Rivera, der erst 36 Jahre alte Chef von Ciudadanos, ist Rajoy auf den Fersen. Medienliebling Rivera lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht daran denkt, Rajoy als Juniorpartner zu einer zweiten Amtszeit zu verhelfen. „Wir wollen keinen Pakt mit Rajoy“, ruft der Anwalt seinen Anhängern zu. „Wir wollen gewinnen.“

Polit-Star Rivera könnte Wahlwunder gelingen

Wenn dem charismatischen Rivera, dem Umfragen zeitweilig sogar Siegeschancen einräumten, tatsächlich ein Wahlwunder gelingt und er gegen den Veteranen Rajoy gewinnt, erwartet Spanien ein kräftiger frischer Wind: Rivera verspricht der Nation einen „tiefgehenden Wandel“. Und eine „Regierung der Öffnung“, in der Kompetenz und nicht das Parteibuch ausschlaggebend sein soll. Der redegewandte Jungpolitiker will zudem endlich mit der weit verbreiteten Schmiergeld-Wirtschaft aufräumen. „Wir sind ein Team von Frauen und Männern mit sauberen Händen.“ Das klingt gut in einem Land, in dem die konservative Volkspartei Rajoys nach mehreren Korruptionsskandalen das Vertrauen vieler Bürger verlor.

Doch egal, wie diese Wahl ausgeht, eines steht jetzt schon fest: Das bisherige Zweiparteiensystem, in dem sich in den letzten Jahrzehnten die Konservativen und die sozialdemokratisch orientierten Sozialisten an der Macht abwechselten, dürfte Geschichte sein. Die frech auftretenden Neulinge Ciudadanos wie Podemos, die beide noch nicht im spanischen Parlament vertreten sind, haben den traditionellen Parteien jetzt schon das Fürchten gelehrt. Und dafür gesorgt, dass sich Mariano Rajoy wie der sozialistische Spitzenkandidat Pedro Sánchez plötzlich ungewohnt bürgernah geben.

Rechtspopulisten politisch integriert

Der politische Wandel in Spanien spielt sich aufgrund des Aufblühens der Protestparteien eher im linken politischen Spektrum ab. Rechtsradikale Parteien spielen bei den Wahlen keine Rolle. Das liegt aber auch daran, dass Rajoys Volkspartei Rechtspopulisten wie die immer noch zahlreichen Sympathisanten der früheren rechten Franco-Diktatur problemlos integriert.

Zu diesen Rechtsauslegern gehört zum Beispiel Rajoys prominenter Parteifreund Xavier García Albiol, der konservative Regionalfürst in der Immigrantenhochburg Katalonien. Albiol erwarb sich dort mit Hetzsprüchen gegen Einwanderer den unschönen Ruf, ein „spanischer Le Pen“ zu sein.

(Printausgabe, 15.12.2015)

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