Die radikal-islamistischen Milizen erobern neue Regionen. Nach Kunduz steht auch die Provinz Helmand kurz vor dem Fall.
Kabul. Der Präsident Afghanistans, Ashraf Ghani, war tagelang nicht zu erreichen. Deshalb setzte der verzweifelte Vizegouverneur der südafghanischen Region Helmand, Mohammad Rassuljar, seinen Hilferuf auf Facebook ab. „Ich kann nicht länger schweigen. Während ich dies schreibe, steht Helmand vor dem Kollaps!“, teilte er dem Präsidenten und der gesamten Weltöffentlichkeit mit. „Es ist dringend erforderlich, dass Sie hierherkommen!“
Die Provinz Helmand, eine der größten Regionen Afghanistans und Hochburg des Opiumhandels, ist seit Tagen von der islamistischen Taliban-Miliz umstellt. Bereits 90 Soldaten sind zuletzt im Kampf um die Region gefallen. Der Präsident schaue weg, wirft ihm der Provinzpolitiker Rassuljar nun vor. Ohne militärische Unterstützung der Regierung werde die gesamte Provinz den Islamisten in die Hände fallen. Den Zugang zur Opiumproduktion in dieser Region würde ihnen zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe garantieren.
Regierungsbeamte berichten, dass zwölf der 15 Bezirke Helmands entweder heftig umkämpft seien oder ganz unter der Kontrolle der Taliban stünden. In der Nacht auf Montag eroberte die islamistische Miliz die Region Sangin. Es sind derzeit noch Kämpfe mit lokalen Sicherheitskräften im Gange. Die Regierungsgebäude hat die radikale Gruppierung bereist erobert.
Attentat auf US-Stützpunkt Bagram
Unterdessen fuhr ein Selbstmordattentäter mit einem Motorrad in eine afghanisch-amerikanische Patrouille nahe des US-Stützpunktes Bagram. Der Attentäter zündete einen Sprengsatz und tötete dabei mindestens sechs Soldaten. Die Taliban jubelten sogar über 19 tote US-Armeeangehörige.
Der größte militärische Erfolg der Taliban in Afghanistan war in den vergangenen Wochen die Eroberung der Stadt Kunduz, die jedoch nach einigen Tagen zurückerobert werden konnte. Sollten es die Taliban schaffen, die Provinz Helmand in ihre Gewalt zu bringen, wäre das allerdings ein noch größerer Sieg und ein herber Rückschlag für die afghanische Regierung. Der neue Präsident hat es bis dato nicht einmal geschafft, einen Verteidigungsminister in dem vom Krieg gebeutelten Land zu ernennen. (poi)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)