Palästina: Ein Präsident, der keiner ist

Mahmoud Abbas (li.) mit Prokopis Pavlopoulos, dem griechischen Präsidenten.
Mahmoud Abbas (li.) mit Prokopis Pavlopoulos, dem griechischen Präsidenten.(c) APA/AFP/ANGELOS TZORTZINIS (ANGELOS TZORTZINIS)
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Mahmoud Abbas gilt seit Jahren als amtsmüde und frustriert. Trotzdem treibt er, wie am Dienstag in Athen, beharrlich die internationale Anerkennung eines eigenen Staats voran.

Ein wahrer Bauboom hat Ramallah erfasst. Neue Hotels, Bürogebäude, Cafés und Ministerien künden in der Hauptstadt der Palästinenser im Westjordanland vom frischen Glanz und dem Geldregen internationaler Organisationen. Am strahlendsten indessen leuchtet die Mukataa, die sich in gleißendem Sandstein auf einer Anhöhe über der Stadt als weithin sichtbares Symbol des Nationalstolzes erhebt. Seit Jassir Arafats Tod vor elf Jahren hat der Amtssitz des palästinensischen Präsidenten die Dimension einer Palastanlage angenommen, inklusive eines Mausoleums und eines Museums für die einstige Galionsfigur der PLO. Von einem Turm zielt ein Laserstrahl nach Jerusalem, der Wunschhauptstadt der Palästinenser und nach Arafats letztem Willen auch dessen ultimative Grabstätte.

In der Erinnerung selbst junger Palästinenser hat Arafat einen prägnanten Eindruck hinterlassen. „Er war ein Fighter und ein starker Führer“, sagt eine junge Frau stellvertretend für ihre Generation. Von seinem Nachfolger, Mahmoud Abbas, wie Arafat immer wieder mit dem Vorwurf endemischer Korruption konfrontiert, lässt sich das nicht behaupten. Seit Langem schon wird dem 80-Jährigen Amtsmüdigkeit nachgesagt. Seit seiner Ankündigung vor einem halben Jahr, die Führung der PLO niederzulegen, gilt er als Präsident auf Abruf. Doch er hatte so oft mit seinem Rücktritt kokettiert, dass ihn keiner mehr richtig ernst nahm. Die Legitimität von Abu Mazen – so sein Kampfname – ist ramponiert, zumal seit 2005 keine Präsidentenwahl in den Palästinensergebieten mehr stattgefunden hat.

Sehnsucht nach neuem Gesicht

Die Jungen sehnen sich nach einem frischen Gesicht an der Spitze der Autonomiebehörde, erst recht in Zeiten einer Eskalation des Nahost-Konflikts und der täglichen Gewalt in den Straßen Jerusalems und Hebrons sowie an den Checkpoints. Der Oppositionspolitiker Mustafa Barghouti, ein dezidierter Kritiker der palästinensischen Führung und des von ihr lancierten „Einparteien-Staats“, wie er sagt, quittiert Nachfolgespekulationen mit einem galligen Witz: „Fragt der Sohn den Vater, ob es nicht Zeit sei, endlich die Fackel zu übergeben. Woraufhin der Patriarch antwortet: ,Welche Fackel? Ich habe keine bekommen.'“

Als das griechische Parlament am Dienstag in Anwesenheit von Abbas in einer demonstrativen Geste Palästina als unabhängigen Staat anerkannt hat, nahm der Veteran der Nahostpolitik die Ovationen und Gratulationen von Alexis Tsipras und Co. entgegen. Nach der Anerkennung durch die Regierung in Schweden und die Parlamente in London, Paris, Madrid und Lissabon markiert das Votum in Athen einen weiteren Etappensieg des Palästinenser-Präsidenten im Ringen um internationale Legitimation.

Ein EU-Diplomat würdigt dessen Erfolge auf politisch-diplomatischer Ebene: „Es ist ihm gelungen, Israel in eine Ecke zu manövrieren.“ Mancherorts ist gar die Rede von einer „diplomatischen Intifada“.

Die Rede im Athener Parlament nutzte Abbas, um sukzessive Druck gegen Israel aufzubauen – wie durch die Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof, beim symbolischen Hissen der Palästinenserfahne vor der UN-Zentrale in New York oder dem jährlichen Auftritt vor dem UN-Plenum, als er den Oslo-Friedensprozess rhetorisch aufkündigte.

Jede Visite in Ramallah zelebrieren die Palästinenser denn auch wie einen Staatsbesuch. Anlässlich der Stippvisite des indischen Präsidenten, Pranab Mukherjee, zierten palästinensische und indische Flaggen die von Sicherheitskräften gesäumten Straßen. Zum Empfang im Garden of Nations vor der Büste Mahatma Gandhis brauste Abbas im Konvoi heran.

In der Nahost-Krisendiplomatie ist Abbas nach wie vor der einzig respektierte Ansprechpartner auf palästinensischer Seite, und selbstverständlich reiste er auch zum Weltklimagipfel in Paris an. Von Papst Franziskus über Staatschefs wie François Hollande oder Wladimir Putin bis hin zu Spitzendiplomaten wie US-Außenminister John Kerry oder UN-Generalsekretär Ban Ki-moon begegnet er allen auf Augenhöhe. Selbst Israels Premier, Benjamin Netanjahu, betrachtet Abbas als einzigen offiziellen Widerpart, mit Oppositionsführer Isaac Herzog verbindet Abbas sogar ein ausgesprochen herzliches Verhältnis.

Gerade Kerry warnte neulich in einer Rede vor der Brookings Institution, dem renommierten Think Tank in Washington, jedoch drastisch vor einem Kollaps der palästinensischen Autonomiebehörde und in Folge auch der Sicherheitskräfte, was Israel zu einer vollständigen Wiederbesetzung der Westbank zwingen würde. Noch nie habe er Abbas so verzweifelt erlebt wie zuletzt, berichtete Kerry. Dass die antiisraelischen Proteste bisher nicht völlig entgleist sind, halten viele auch Abbas zugute.

Keine Alternative zu Abbas

Unterm Strich, monieren viele in seiner Fatah-Partei, habe Abbas während seiner elfjährigen Amtszeit keinen zählbaren politischen Fortschritt erreicht. „Abbas sollte seinen Kopf nicht in den Sand stecken“, kritisiert ein Funktionär seinen moderaten Stil in der Auseinandersetzung mit Israel.

Eine Alternative zu Abbas drängt sich einstweilen nicht auf. Saeb Erekat, der weltgewandte Chefunterhändler der Nahost-Gespräche, zum PLO-Generalsekretär avanciert und als potenzieller Erbe gehandelt, fehlen Heldennimbus und Hausmacht. Kandidaten wie Ex-Premier Salam Fayyad oder der ehemalige Sicherheitschef Mohammed Dahlan, im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sind in Ungnade gefallen. Und Marwan Barghouti, der populäre Anführer der zweiten Intifada und in Graffiti zum Helden stilisiert, sitzt, zu mehrfach lebenslanger Haft verurteilt, im Gefängnis in Israel.

Amtsmüdigkeit hin, Führungsschwäche her: Abbas, der kritisierte und frustrierte Präsident, wird noch eine Weile amtieren – auch, um kein Vakuum zu hinterlassen, in das Hardliner wie die Hamas-Rivalen vorstoßen könnten. Bei der Weihnachtsmette in der Geburtskirche in Bethlehem zählt er – wie einst Arafat – längst zur Stammklientel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2015)

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