Venezuela: Maduros Machterhaltsmanöver

Präsident Maduro vor Porträts des Vorbilds seiner bolivarianischen Bewegung, des Befreiungskämpfers Simón Bolívar (1783–1830).
Präsident Maduro vor Porträts des Vorbilds seiner bolivarianischen Bewegung, des Befreiungskämpfers Simón Bolívar (1783–1830).(c) APA/AFP/PRESIDENCIA/HO
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Die Regierung des linkspopulistischen Präsidenten Nicolás Maduro betoniert kurz vor dem Antritt des neuen, von der Opposition dominierten Parlaments ihre Position ein.

Caracas/Buenos Aires. Venezuela muss ohne Weihnachtsfrieden auskommen. Während viele Bürger des linkspopulistisch regierten 33-Millionen-Landes, verarmt durch Inflation und geplagt von der Versorgungskrise, Geschenke und Festmahl ausfallen ließen, versucht die Führung ihre Macht zu zementieren, ehe die neue Nationalversammlung im Jänner zusammentritt. Darin hatte die Opposition bei der Wahl Anfang Dezember 112 der 167 Mandate gewonnen – eine knappe Zweidrittelmehrheit, die den Spielraum der Exekutive stark beschränken könnte.

Nun will die Regierung des Präsidenten Nicolás Maduro offenbar 22 Mandate anfechten, das machte die Führung des Oppositionsbündnisses Mesa de la Unidad Democrática (MUD) vor Weihnachten publik. Obwohl die zuständige Kammer des Obersten Gerichtshofs seit 7. Dezember in Sommerferien ist, nahmen zwei Hilfsrichter einen Eilantrag an. Die 22 Sitze betreffen Stimmkreise, in denen außergewöhnlich viele ungültige Stimmen abgegeben wurden.

Wahlanfechtung

Tatsächlich war aufgefallen, dass viele Bürger an den Wahlmaschinen eigenartige „Manöver“ anstellten, offenbar in der Absicht, weder Regierung noch Opposition zu wählen. Mit gutem Grund: Staatsangestellte und Empfänger von Subventionen riskieren ihre Existenz, falls sie für die Opposition stimmen. Oft wurden Staatsdiener entlassen und auch über Medien denunziert, was zeigt, dass in Venezuela das Wahlgeheimnis nur ein Wort ist. Weil die regierenden Chavisten an jedem Wahltag „ihre“ Wähler abholen und zur Wahlkabine begleiten, leisteten viele Unzufriedene dort offenbar Widerstand durch regelwidrige Stimmabgabe.

Die Obhut der Wahlmaschinen und die Stimmauszählung obliegen dem nationalen Wahlrat, der seit Jahren von der Regierungspartei kontrolliert wird. Allein darum wäre es wenig glaubhaft, würde die Regierung Wahlbetrug behaupten. Der Wortlaut des Eilantrages wurde indes nicht veröffentlicht.
„Die wollen auf bürokratischem Wege gewinnen, was sie an den Urnen verloren haben“, erklärte MUD-Sprecher Jesús Torrealba. Sein Bündnis habe internationale Organisationen benachrichtigt, etwa den Südamerika-Staatenbund Unasur, die Organisation amerikanischer Staaten OAS und die EU.

Gefügige Höchstrichter

Die alte Nationalversammlung ernannte in ihrer letzten Session Mitte Dezember eine neue Generalstaatsanwältin: Susana Barreiro war jene Richterin, die im September Oppositionsführer Leopoldo López zu fast 14 Jahren Haft verurteilte, in einem fragwürdigen Prozess. Nun müssen die „alten“ Abgeordneten nachsitzen. Für 23. Dezember berief Diosdado Cabello, der abgewählte Parlamentspräsident, der auch sein Abgeordnetenmandat verlor, die Kammer ein, um 13 der 22 Mitglieder des Obersten Gerichtshofs zu bestimmen. Der kann alle Gesetze der Nationalversammlung bremsen und kassieren. Sämtliche neubestellte Juristen gelten als Parteigänger des Chavismo.

Unter den Neuen sind vormalige Parlamentsabgeordnete des Chavismus, der Vizerektor der Bolivarianischen Universität Venezuelas und der frühere Geschäftsträger des Karibikstaates in Washington. Und, wichtig: Fast alle neuen Höchstrichter sind mittleren Alters. Die Regierung will nämlich krankheitsbedingte Ausfälle vermeiden, ehe das neue Parlament die Macht hat, Nachfolger für mögliche Abgänge zu inthronisieren. Um die Kontrolle des hohen Tribunals komplett zu machen, ernannten die Chavisten auch noch Stellvertreter für die 22 obersten Richter.

Ein Parallelparlament

Cabello, einst Putschgefährte des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez (1999–2013) und der eigentliche starke Mann im Staat, schwor Mitte Dezember eine zweite Volksversammlung ein. Dieses „parlamento popular“ wurzelt in einer Idee Chávez', der 2010 im Rahmen einer Kommunalreform die Schaffung eines „Volksorgans“ aus Gemeinderäten per Dekret befahl. Diese Pläne wurden nicht weiterverfolgt, die Bolivarianer hatten ja alle Macht in Nationalversammlung und Bundesstaaten. Nun erst wurde der Papiertiger belebt. Die Opposition glaubt, dass diese neu installierten Räte die auf demokratischem Weg gewählten Bürgermeister und Stadträte ersetzen könnten.

Bei der ersten Sitzung des neuen Organs erklärte Cabello dem überraschten Land die neuen Regeln: Die Räte, die allein dem Präsidenten Bericht erstatten, sollen „Finanzmittel, leitende Posten und Entscheidungsfindung“ bekommen. Es gibt freilich eine Aufnahmebeschränkung: Für die Räte kommen nur „Revolucionarios“ infrage. Cabello wurde überdeutlich: „In die anstehende Schlacht müssen wir geeint ziehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2015)

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