Flüchtlinge: Keine Feiertagspause auf der Balkanroute

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Das kühlere Wetter und das rigidere Auftreten der Sicherheitskräfte haben den Zug über den Balkan nach Norden derzeit etwas gebremst. Spätestens im Frühjahr werde der Strom aber wieder anschwellen, heißt es.

Belgrad. Glitzernde Lichterketten künden auch im orthodoxen Serbien von nahenden Festtagsfreuden. Doch Neujahrs- oder Weihnachtsgefühle kommen bei den jungen Männern mit den Stoppelbärten, die sich in einer kleinen Zeltsiedlung unweit des Belgrader Busbahnhofes an Kaffee und Tee wärmen, keinerlei auf.

In Griechenland habe ihn die Polizei ausgeraubt und fünf Tage ins Gefängnis gesteckt, berichtet in dem von Freiwilligen und privaten Spendern getragenen Durchgangslager Miksaliste mit müdem Blick der Algerier Yakub. Danach sei er sechs Tage lang durch Mazedonien über die Eisenbahnschienen bis zur serbischen Grenze gelaufen. Er hoffe, in Deutschland oder Polen einen Job und ein neues Leben zu finden, so der 24-Jährige: „Denn für uns Junge gibt es in meinem Land nichts, absolut nichts – egal, ob du studierst oder nicht.“

Hastig und hungrig löffelt Yakub eine Sardinenbüchse aus: „Ich bin froh um jede Hilfe. Denn auf der Straße gibt dir sonst unterwegs niemand etwas. Im Gegenteil.“

Länger habe er mit seiner beschwerlichen Reise nicht mehr warten wollen, antwortet der Student auf die Frage, warum er sich ausgerechnet im Winter auf den Weg gemacht habe: „Vielleicht wird sich bis zum Frühjahr alles ändern, schließen sich für uns noch mehr Grenzen. Und es wird für uns noch schwerer, nach Europa zu kommen.“

Die Angst befeuert den Ansturm

Von Feiertagspause kann bei dem seit Monaten anhaltenden Flüchtlingstreck auf der sogenannten Balkanroute keine Rede sein. 2131 eingereiste Flüchtlinge registrierte Sloweniens Polizei am Heiligen Abend, 3257 am ersten, 4274 am zweiten Weihnachtsfeiertag. Die kühleren Temperaturen haben die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute im Vergleich zum Herbst zwar etwas gesenkt. Doch deren Drang in Richtung Mitteleuropa hielt im Dezember mit durchschnittlich etwas mehr als 3000 Flüchtlingen pro Tag unvermindert an: Es ist auch die Angst vor Europas Abschottung, die viele mitten im Winter dazu bringt. sich auf den Weg zu machen.

Erleichtert ziehen sich die Neuankömmlinge bei der Schuhausgabe im Miksaliste neue Strümpfe und schwarze Winterstiefel über ihre von tagelangen Märschen durch bulgarische Wälder oder über mazedonischen Schienen schwieligen Füße. Der Großteil der aus Mazedonien nach Serbien gelangenden Flüchtlinge fahre mittlerweile von Südserbien mit Bussen ohne Zwischenstopp in Belgrad direkt an die kroatische Grenze, berichtet der freiwillige Helfer Aleksandar. Nach Belgrad würden nun vor allem die von der Türkei über Bulgarien nach Serbien gelangten Grenzgänger kommen, „vor allem Afghanen, Iraker, aber auch Somalier und Nigerianer“.

Die Zahl der im Miksaliste Hilfe suchenden Menschen sei seit Mitte Oktober mit 250 bis 300 pro Tag relativ stabil: „Mal kommen etwas mehr, mal etwas weniger: Aber alle wollen so schnell wie möglich nach Europa gelangen.“

Ob neue Grenzzäune, vermehrte Patrouillen der türkischen Küstenwache oder Mazedoniens Einreiseverbot für alle Migranten, die nicht aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan stammen: Die Hindernisse auf der Balkanroute haben sich für die Flüchtlinge in den vergangenen Wochen vermehrt, ihr Exodus hält dennoch an: Es scheinen bisher eher die verschlechterten Wetterbedingungen als die versuchten Zugangsbeschränkungen, die im Winter für etwas geringere Flüchtlingszahlen sorgen.

Es werden wieder mehr werden

Im Frühjahr sei sicher wieder mit anziehenden Flüchtlingszahlen zu rechnen, prophezeit Rados Djurović, Direktor des Belgrader Zentrums zum Schutz für Asylsuchende: „Die Leute erzählen uns, dass viele in ihrer Heimat nur auf besseres Wetter für die Reise warten.“ Die türkische Küstenpolizei würde nun zwar merklich härter gegenüber den Flüchtlingen auftreten, mehr Menschen verhaften und vor allem tagsüber verstärkt kontrollieren. Doch die Schlepper hätten sich auf die neue Lage eingestellt – und würden mit vermehrten Nachtpassagen, schnelleren Booten und höheren Tarifen operieren.

Auch an der griechisch-mazedonischen und mazedonisch-serbischen Grenze seien wieder verstärkt Schlepper aktiv: „Durch Serbien ziehen immer mehr Flüchtlinge, denen die Einreise wegen ihrer Herkunft nun eigentlich verboten ist.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2015)

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