Nach Kritik an der "Schweigespirale" setzt die Regierung auf eine Verschärfung des Asylrechts. Damit hofft man, Kritikern von rechts außen und in den eigenen Reihen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wien/Köln/Berlin. Die Zahl der Anzeigen nach sexuellen Übergriffen während der Silvesternacht in Köln ist bis zum Wochenende auf 379 gestiegen. 40 Prozent der Anzeigen beziehen sich auf sexuelle Belästigung, zwei auf Vergewaltigung. Auch in Hamburg nahmen die Behörden bisher 133 Anzeigen auf, weitere, mindestens 15 Fälle, in Frankfurt. Die mutmaßlichen Täter dürften mehrheitlich Männer aus Nordafrika und dem Nahen Osten sein. Wie bereits bekannt, sind auch Asylwerber darunter.
Sind die „Silvesterattacken“ der Wendepunkt für die deutsche Aufnahmepolitik? Sind sie der oft beschworene Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt? Der das Ende des euphorischen Willkommenheißens der Flüchtlinge im Sommer besiegelt? Nicht zuletzt die Terrorattacken und -warnungen der vergangenen Wochen, die Brandanschläge gegen Asylwerberunterkünfte in Deutschland und das Abrücken europäischer Politiker von Kanzlerin Angela Merkels Politik brachten Frost und Frust. Noch scheint sich Berlin wacker zu halten. Doch der Druck auf die Regierung wächst, nicht nur von den Rechts-außen-Demonstranten von AfD und Pegida, die sich am Wochenende in Köln versammelt haben. Merkels Mannschaft scheint sich indes zur Flucht nach vorn entschlossen zu haben.
„Alles muss auf den Tisch“, so lautet die Parole, die die Kanzlerin am Wochenende bei der CDU-Vorstandsklausur ausgegeben hat. Zuvor war Kritik an den Kölner Sicherheitskräften laut geworden: Diese hätten versucht, das wahre Ausmaß der Ereignisse zu vertuschen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) versprach in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, die Herkunft von Straftätern nicht zu verschweigen. „Es darf keine Schweigespirale geben, schon gar nicht darf sie von der Polizei ausgehen.“
Unter dem Druck der öffentlichen Meinung setzt die Regierung nun auf Aktionismus. Mit einigen Gesetzesverschärfungen will man den Kritikern – vom Anti-Einwanderungslager bis hin zu Unzufriedenen in den eigenen Reihen – die Luft aus den Segeln nehmen. Ein Verlust des Anspruchs auf Asyl sowie die Abschiebung aus Deutschland könnte künftig schon bei Verhängung einer Bewährungsstrafe möglich sein.
Indes droht den Christlichsozialen eine neuerliche Debatte um Asylobergrenzen. In der „Mainzer Erklärung“, die die CDU am Wochenende verabschiedet hat, ist von einer Begrenzung der Zuzüge die Rede. Eine konkrete Zahl wird aber nicht genannt. Auch die Befugnisse der Sicherheitskräfte sollen ausgeweitet werden: Innenminister de Maizière kündigte mehr Videoüberwachung, mehr Polizeipräsenz auf der Straße und vorbeugende Aufklärung an.
Ebenso könnten (ohnehin geplante) Verschärfungen im Sexualstrafrecht nun zügiger umgesetzt werden. Hier geht es um eine Ausweitung des Straftatbestands auf Attacken im öffentlichen Raum, bei denen der Täter einen Überraschungsmoment ausnützt.
Maas vermutet konzertierte Aktion
Bezüglich der Silvesternacht geht Justizminister Heiko Maas offenbar davon aus, dass die Angriffe auf Frauen organisiert waren. „Wenn sich eine solche Horde trifft, um Straftaten zu begehen, scheint das in irgendeiner Form geplant worden zu sein“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Das Blatt berichtet unter Berufung auf vertrauliche Polizeiberichte, dass Migranten offenbar über soziale Netzwerke dazu aufgerufen haben, in der Silvesternacht nach Köln zu kommen. Sicherheitsbehörden gingen davon aus, dass sich eine dreistellige Anzahl Männer aus dem mutmaßlichen Tätermilieu für die Übergriffe in Köln verabredet habe, schrieb auch „Der Spiegel“. Die Hinweise werden allerdings noch sehr vorsichtig behandelt. Ähnliche Taten bei Massenaufläufen gibt es seit Jahren in Nordafrika. Bei den Protesten zur Zeit des Arabischen Frühlings auf dem Kairoer Tahrir-Platz sorgten sie weltweit für Entsetzen.
AUF EINEN BLICK
Nach den Silvesterattacken in Köln und anderen deutschen Städten plant die Bundesregierung mehrere Gesetzesverschärfungen. So sollen Abschiebungen für straffällig gewordene Asylwerber vereinfacht werden. Auch das Sexualstrafrecht soll um Tatbestände ergänzt werden. Belästigungen im öffentlichen Raum könnten künftig schärfer geahndet werden. Die Polizei soll mehr Befugnisse, etwa im Bereich der Videoüberwachung, bekommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2016)