Russland: Demagogie und Desinformation

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Das Land benutzt die Flüchtlingskrise und ihre Folgen zur gezielten Schwächung Europas. Staatliche oder staatsnahe Medien haben dabei vor allem Deutschland ins Visier genommen.

Seit einiger Zeit schaufelt sich Europa sein eigenes Grab: Diesen Eindruck wird derjenige nicht los, der regelmäßig russische Mainstreammedien konsumiert.

Es ist ein eigentümlicher Ton zwischen Besorgnis und Häme, der aus diesen Berichten spricht. War in früheren Zeiten das Zerrbild von „Gayropa“ – alles von Homoehe bis Conchita Wurst – Synonym für die Zersetzung aus dem Inneren, so droht seit der Ankunft der mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge der Untergang durch „äußere Feinde“. Für Kommentatoren von „Moskowskij Komsomolets“ bis zur „Iswestija“ scheint die Sache klar: Angesichts von Islamisierung und Terrorismus hat Europas letzte Stunde geschlagen.

Russische staatliche oder staatsnahe Medien haben dabei vor allem Deutschland ins Visier genommen – ein Land, mit dem man trotz Ukraine-Krise enge Bande und Wirtschaftskontakte unterhalten hat. Der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Grimm von der Universität Wien sieht darin eine neue Entwicklung: Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Polen, der Ukraine und dem Baltikum wurde Deutschland bisher von russischer Seite „geschont“, sagt er. Doch nun sind die sexuellen Übergriffe der Kölner Silvesternacht, die Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen, die laut Staatsanwaltschaft niemals stattgefunden hat, sowie zuletzt der gewaltsame Tod einer Frau in der Berliner U-Bahn Themen, über die russische Medien plötzlich breit berichten. Grimm nennt es einen „konfrontativen Kurs gegenüber Deutschland“. Ziel sei, die Öffentlichkeit zu spalten.

Weiteres Novum: Die russischen Medienberichte rund um den „Fall Lisa“ blieben nicht folgenlos. Ein Bericht des Ersten Kanals verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der rund drei Millionen Menschen zählenden russlanddeutschen Community. Darin schildert die Tante der 13-Jährigen eine 30-stündige Vergewaltigung durch drei Männer. Außerdem wird nahegelegt, dass Migranten und Flüchtlinge für diese und ähnliche Taten verantwortlich sind.

Fakt ist: Das 13-jährige Mädchen war am 11. Jänner tatsächlich für 30 Stunden verschwunden gewesen. Unklar war bis Freitag, was in dieser Zeit wirklich geschah. Das Mädchen hatte sich in widersprüchliche Aussagen verstrickt. Am Freitag erklärte die Staatsanwaltschaft, Lisa habe sich bei einem 19-jährigen Bekannten aufgehalten. Dies sei durch Handy-Ortung und Befragung klar geworden. Zu sexuellen Handlungen sei es nicht gekommen. Vor dem Verschwinden soll das Mädchen allerdings sexuellen Kontakt zu zwei türkischstämmigen Männern gehabt haben – aufgrund der Minderjährigkeit Lisas eine Straftat.

Der Fall zeugt nicht nur von der journalistischen Fahrlässigkeit des Ersten Kanals, sondern spricht auch davon, dass manche Aussiedler den russischen Medien mehr trauen als den deutschen Behörden – ein Syndrom des Homo post-sovieticus im Allgemeinen. Und es zeigt, dass die Mobilisierung russischsprachiger Communitys nicht nur in der Ostukraine oder in Lettland klappt, sondern mitten in Deutschland.

Ist an dem Vertuschungsvorwurf etwas dran? Deutsche Medien sahen in dem Fall zunächst kein Thema. Die Staatsanwaltschaft gab Informationen mit Verweis auf laufende Ermittlungen nur spärlich weiter – durchaus im Sinne des minderjährigen Opfers, dessen Privatsphäre geschützt werden soll. In Russland ist hingegen Opferschutz nahezu unbekannt: Fotos und Namen der Betroffenen werden üblicherweise ohne Bedenken veröffentlicht.

Information als Waffe

Auch ein anderer Fall, in dem eine junge Frau von einem Mann mit Migrationshintergrund in Berlin auf U-Bahn-Gleise gestoßen wurde und starb, hat das Interesse russischer Medien geweckt. In dem Bericht des Fünften Kanals ist wiederholt von der Tat eines „Flüchtlings“ die Rede. Offenbar soll auch hier der Eindruck erweckt werden, dass die Sicherheit der deutschen Frauen von Asylwerbern bedroht wird. Der Täter ist psychisch krank, in Hamburg geboren und hat iranische Wurzeln.

In ihrem Bericht „The Menace of Unreality“ werten Peter Pomerantsew und Michael Weiss Information als Waffe in Russlands hybrider Kriegsführung. Schwachpunkte des Gegners werden betont, innere Widersprüche verstärkt, Themen wird ein Spin gegeben. Diese Strategien lassen sich in den aktuellen Berichten wiederfinden: EU-Europa und die deutsche Regierung um die sowieso angeschlagene Kanzlerin, Angela Merkel, sollen als schwach, unfähig und inkompetent erscheinen.

„Russische Medien wie RT haben bisher die negativen Seiten der USA hervorgestrichen“, sagt Jürgen Grimm. „Das Schlechte wird nach außen verlagert, um innenpolitisch punkten zu können.“ Das alles passiert unter der bekannten RT-Devise „question more“. Journalismus? Oder doch Demagogie?

Der Kommunikationswissenschaftler sieht ebenso Verbesserungsbedarf bei der Berichterstattung westlicher Medien über Russland. Generell sei der mediale Diskurs seit einiger Zeit voller Feindseligkeiten. „Die staatliche Kontrolle ist viel ausgeprägter in Russland, aber in zugespitzten Konfliktsituationen nehmen auch freiheitlich verfasste Medien einen patriotischen Tunnelblick ein“, bemängelt er.

Bei aller Kritik: Staatsnahe russische Medien arbeiten mit Tricks, die im Westen nicht durchgehen würden. Journalisten des Onlineprojekts The Insider fanden heraus, dass TV-Anstalten russlanddeutschen Interviewpartnern nicht nur Geld anboten, sondern sogar Protagonisten samt ihrer Schicksale erfanden. Vom öffentlichen Aufschrei, den es nach Versäumnissen deutscher Medien in der Berichterstattung von Köln gab oder gar Entlassungen, hat man aus Moskau nichts gehört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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