Studie: Westliche Militärvormacht bald Geschichte

China und Russland machen rüstungstechnisch Boden gut, analysiert das IISS in London. Im Bild ein chinesischer J-10-Jet bei einer Flugschau.
China und Russland machen rüstungstechnisch Boden gut, analysiert das IISS in London. Im Bild ein chinesischer J-10-Jet bei einer Flugschau.REUTERS
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Russland rüstet auf, China rüstet auf, Europa zögert und zaudert. Das Institut für Strategische Studien zeigt, warum der Westen an militärischem Vorsprung verliert.

"Die militärisch-technologische Überlegenheit des Westen erodiert", heißt der neueste Befund der unabhängigen Experten des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London. Eine Überschrift wie eine Warnung an USA, Nato und EU. Ob Drohnen, Marschflugkörper oder Cyber-War - die High-Tech-Waffen sind kein Vorrecht des Westens mehr. Sie haben längst ihren Weg in russische und chinesische, aber auch in iranische und indische Arsenale gefunden. Die globale "militärische Balance" ist ins Rutschen geraten, die Welt ist gefährlicher geworden, analysiert das IISS in seinem Jahresbericht.

Vor allem die Kritik an Europa ist unübersehbar: Die Bedrohungen und Risiken seien gewachsen, doch Europa habe sich von der langen Phase der Reduzierung seiner Verteidigungsausgaben nach dem Mauerfall 1989 noch nicht erholt. So hätten Großbritannien und Frankreich etwa beim Golfkrieg 1991 über 475 bzw. 579 moderner Kampfjets verfügt - heute gebe es nur noch jeweils 194 bzw. 271 Kampfjets. In dieser Zeit hätten Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien sowie die USA in Europa die Zahl ihrer Kampfbataillone von 649 auf 185 reduziert.

"Friedensdividende" nannten vor allem die europäischen Nato-Staaten ihre Einsparungen im Verteidigungsbereich nach Mauerfall und Zusammenbruch der Sowjetunion. Russland war militärisch phasenweise nicht mehr ernst zu nehmen. Sogar eine Nato-Partnerschaft war in Reichweite. Doch spätestens seit der Ukraine-Krise ist dieser Traum ausgeträumt.

Militärischer Vorsprung des Westens schmilzt

Marschflugkörper, Drohnen und Cyberwaffen seien in den vergangenen Jahren immer mehr Ländern zugänglich geworden als bisher, was zu einer "zunehmend komplexeren Balance militärischer Macht" in der Welt führe. Der militärische Vorsprung des Westens schmilzt.

Auch mit Blick auf den Terrorismus heißt es in den Bericht grundsätzlich: "Das globale Sicherheitsumfeld ist heute vielleicht eine größere Herausforderung denn je seit Ende der 1980er-Jahre."

Blickt man auf die Militärausgaben der einzelnen Staaten, scheint der Westen weiterhin die Nase vorne zu haben. Die mit Abstand größten Ausgaben verbuchen die USA: 598 Milliarden Dollar (532,22 Mrd. Euro). China, Nr. Zwei, hat 146 Milliarden Dollar, Russland, Nr. vier, 66 Milliarden Dollar. Doch was Sorgen bereitet, ist das Wachstum - und der Blick in die Zukunft.

Russland und China modernisieren

China und Russland modernisieren ihre militärischen Arsenale. In China wird etwa ein hochmoderner Zerstörer vom Typ 052D entwickelt, auch der Bau eines Flugzeugträgerst steht auf dem Programm der Chinesen. Im südchinesischen Meer, wo mehrere Länder der Region Besitzansprüche stellen, weitet Peking seine militärischen Aktivitäten aus.

Und Russland steht China in diesen Dingen kaum etwas nach. Da wären etwa die neuen Marschflugkörper vom Typ Kh-101 und Kh-555 mit Reichweiten von bis zu 4.000 Kilometer. Vor allem konzentriere Moskau seine militärische Kapazitäten zunehmend im Westen, was die Lage in den baltischen Staaten beeinflussen könnte, konstatiert der IISS.

In der Golfregion könnten sich nach der Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran auch Veränderungen im militärischen Gleichgewicht ankündigen, sollte sich Teheran zu einer Modernisierung seiner Waffensysteme entscheiden.

Privatsektor statt Staat

Es sind nicht nur die geopolitischen Entscheidungen, die bei dieser Machtverschiebung einer Rolle spielen. Komplizierte Rüstungstechnologie wird immer mehr im Privatsektor entwickelt und nicht länger durch staatliche Forschung. Somit sei es für Regierungen auch schwieriger geworden, die Verbreitung dieser Technologien im Auge zu behalten und zu begrenzen.

Und dann wäre da noch der Zwang zum Sparen. Dass Washington seine Präsenz in Deutschland und Europa zurückgefahren hat, dürfte seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise als schwerer Fehler bewertet werden. "Das globale Sicherheitsumfeld ist heute vielleicht eine größere Herausforderung denn je seit Ende der 80er-Jahre", meint das Institut - auch mit Blick auf den Terrorismus.

(APA/dpa)

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