Krieg in der türkischen Hauptstadt

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Im Regierungsviertel Ankaras explodierte am Mittwochabend neben einem Militärkonvoi eine Autobombe. Mindestens 28 Menschen starben, die Kurdenguerilla PKK steht unter Verdacht.

Der Militärkonvoi schob sich gerade durch die Straßen im Stadtzentrum von Ankara. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, im Regierungsviertel der türkischen Hauptstadt, wo Parlament, Ministerien, Botschaften und Generalstab eng beieinander liegen, herrschte dichter Feierabendverkehr. Mit einer gewaltigen Detonation, die im ganzen Stadtgebiet zu hören war, flogen gegen 18.30 Uhr Ortszeit (17.30 Uhr MEZ) mehrere Wagen des Konvois in die Luft und gerieten in Brand.

Unbekannte hatten neben den Fahrzeugen eine Autobombe gezündet – und somit der schon seit Monaten von schweren Terroranschlägen und einem offenen Bürgerkrieg in Teilen der Kurdengebiete erschütterten Türkei einen neuen Schlag versetzt. Mindestens 28 Todesopfer gab es bis zum späten Abend zu beklagen, und angesichts einer Zahl von mindestens 61 Verletzten war mit einem weiteren Anstieg der Opferzahl zu rechnen. Bilder vom Anschlagsort zeigten eine schwarze Rauchsäule über der Stadt und lichterloh brennende sowie ausgebrannte Busse – und all das nur wenige hundert Meter vom Parlament und vom Hauptquartier der Streitkräfte entfernt. Regierungssprecher Numan Kurtulmus sprach im TV von einem sorgfältig vorbereiteten Anschlag. Hinweise auf die Täter gebe es indes noch nicht.

Verdacht fällt auf Kurden

Doch noch während die Militärfahrzeuge brannten und die Sirenen der Krankenwagen heulten, setzten die ersten Spekulationen über die Urheber ein. Ganz offensichtlich sollte mit dem Anschlag im Herzen der türkischen Regierungsmacht eine blutige Botschaft an die Regierung geschickt werden. Die meisten Beobachter waren sich schnell einig, dass wahrscheinlich die kurdische Rebellengruppe PKK hinter dem Anschlag steckt.

Regierungsvertreter, die nicht namentlich genannt werden wollten, stimmten dem auch alsbald zu. Für eine Täterschaft der militanten Kurden sprach nämlich nicht nur der Zeitpunkt: Fast genau vor 17 Jahren, am 16. Februar 1999, hatte der türkische Geheimdienst im afrikanischen Staat Kenia den PKK-Gründer Abdullah Öcalan gefangen genommen und in die Türkei geflogen. Öcalan sitzt bis heute auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul ein. Seit seiner Festnahme gibt es regelmäßig um den Jahrestag herum Gewalttaten kurdischer Extremisten.

Doch nicht nur das Datum ließ die PKK ins Zentrum der Vermutungen rücken. Seit Monaten schon liefern sich türkische Sicherheitskräfte und die PKK schwere Gefechte in Städten im südostanatolischen Kurdengebiet. Dabei geht der Staat gegen eine von den Rebellen ausgerufene „Autonomie“ vor, die von der PKK mit Straßengräben, Barrikaden, Sprengfallen und Panzerfäusten verteidigt wird. Bis zu 1000 PKK-Kämpfer sollen bei den unerbittlichen und mit schweren Waffen ausgetragenen Straßenkämpfen, die ganze Häuserzeilen in Schutt und Asche gelegt haben, schon ums Leben gekommen sein. Kurdenpolitiker und Menschenrechtler werfen Armee und Polizei vor, mit rücksichtsloser Härte auch gegen Zivilisten vorzugehen. Es ist, als hätte es den Friedensprozess zwischen Staat und Kurden, der noch vor einem Jahr Hoffnung machte, nie gegeben.

EU-Gipfel abgesagt

Seit Tagen bekämpfen einander türkische Militärs und Kurden zudem noch an einer anderen Front: in Syrien. Seit Samstag bepflastert türkische Artillerie von der Grenze aus Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG. Die YPG ist ein syrischer Ableger der PKK und kämpft für kurdische Selbstverwaltung. Nur wenige Stunden vor der Bombe von Ankara hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in einer Rede erklärt, sein Land denke trotz der für Syrien geplanten Waffenruhe nicht daran, den Beschuss der YPG einzustellen. Er und Premierminister Ahmet Davutoğglu kamen am Abend mit wichtigen Beratern zu einer Sitzung zusammen. Davutoğlu sagte seine Reise zum EU-Gipfel nach Brüssel ab.

In der Türkei haben Anschläge nicht nur in der jüngeren Vergangenheit schon vielen Menschen das Leben gekostet. Zuletzt wurden im Jänner bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls elf Deutsche getötet; der Angreifer, vermutlich ein Kämpfer der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS), hatte sich unter einer Reisegruppe gesprengt. Im Oktober 2015 rissen Bomben am Rande einer regierungskritischen Demonstration in Ankara gleich mehr als 100 Menschen in den Tod. Es wird ebenfalls der IS dahinter vermutet, wenngleich es Gerüchte über kurdische Verstrickungen oder sogar ein Mitwirken der Geheimdienste gab.


Im September 2015 wurden bei einem Bombenanschlag in Igdir in der Osttürkei zwölf Polizeibeamte getötet. Zuvor starben bei einem Angriff der PKK und bei Gefechten im südosttürkischen Daglica in der Provinz Hakkari 16 Soldaten. Im Juli hatte ein Selbstmordattentäter in einem Grenzort zu Syrien 33 pro-kurdische Aktivisten mit in den Tod gerissen – verdächtigt wird der IS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2016)

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