Reportage: Gestrandet auf der Balkanroute

Syrian and Iraqi refugees prepare to board a bus heading to the Greek-Macedonian border, following their arrival aboard the Blue Star 1 passenger ship from the islands of Lesbos and Chios, at the port of Piraeus, near Athens
Syrian and Iraqi refugees prepare to board a bus heading to the Greek-Macedonian border, following their arrival aboard the Blue Star 1 passenger ship from the islands of Lesbos and Chios, at the port of Piraeus, near Athens(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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An der mazedonisch-serbischen Grenze hängen Hunderte afghanische Flüchtlinge fest, die bis vor Kurzem als Kriegsflüchtlinge klassifiziert wurden. Sie gelten plötzlich als unerwünschte Grenzgänger.

Tabanovice. Vor den Toren des mit Stacheldraht abgezäunten Durchgangslagers von Tabanovice fahren rumpelnd die Panzerwagen der mazedonischen Armee auf. Doch trotz der zahlreichen Uniformträger hat der vor dem Lagereingang kauernde Mustafa das Vertrauen in Europas Staatsdiener komplett verloren. Am Tag zuvor hätten mazedonische Polizisten ihn und seine Freunde zur grünen Grenze nach Serbien gefahren, erzählt der 19-jährige Student aus Kabul: „Sie sagten: ,Geht, geht, da drüben ist Serbien.‘“

Doch in das nächste Land seiner mittlerweile sechsmonatigen Odyssee sollte der gedrungene Afghane nie gelangen. Erst raubten in dem dunklen Wald vier maskierte und mit Macheten belagerte Wegelagerer die verschreckten Grenzgänger aus. Und dann prügelte sie die serbische Grenzpolizei über die Grenze zurück: „Ich habe keinerlei Geld und auch kein Telefon mehr. Ich weiß weder, wo ich hin soll, noch warum wir nicht weiter dürfen.“

„Wir mussten einfach weg“

Bislang galten Afghanen wie Iraker und Syrer als Kriegsflüchtlinge mit chancenreichen Aussichten auf Asyl in Europa. Doch seit dem vergangenen Wochenende wird ihnen an fest allen Grenzen auf der Balkanroute die Weiterreise verwehrt. Auch an der mazedonisch-serbischen Grenze hängen mehr als 700 Afghanen schon seit Tagen ratlos fest: Von einem Tag auf den anderen sind sie als vermeintliche Wirtschaftsflüchtlinge auf dem Balkan zu unerwünschten Grenzgängern mutiert.

Vor einem Monat sei er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern aus seinem von Kabul rund 40 Kilometer entfernten Dorf aufgebrochen, erzählt der 29-jährige Tofiq. Gern sei er nicht gegangen, versichert der stoppelbärtige Familienvater: „Wir Afghanen lieben unsere Heimat und unser Land.“ Doch erst hätten die Taliban seinen Nachbarn abgeschlachtet, weil dieser im Staatsdienst gearbeitet habe. Dann hätten muslimische Eiferer seinen Lebensmittelladen ausgebrannt: „Es war einfach kein Leben mehr, wir mussten einfach weg.“

„Schreckliches“ habe er auf seiner Reise erlebt, er habe „auch tote Kinder gesehen“. Keinerlei Probleme habe er hingegen bei der Reise von Griechenland nach Mazedonien gehabt: „Doch als wir vor fünf Tagen hierherkamen, verweigerten uns die Serben plötzlich die Einreise. Warum, weiß ich nicht. Sind wir etwa schlechtere Muslime oder schlechtere Menschen als Syrer oder Iraker?“

Schwer bewaffnete Soldaten sichern den nahen Bahnsteig ab. Die Bewachung der Gleise solle verhindern, dass die gestrandeten Flüchtlinge den erwarteten Zug ins nahe Serbien enterten, so der stellvertretende Lagerleiter, Arbnor Tefiru. Derzeit hielten sich über 750 Personen in dem Durchgangslager auf, das dafür keineswegs gerüstet sei: „Wir haben viel zu wenige Duschen, Toiletten und Schlafplätze. Viele sind nun schon fünf Tage hier, und sie werden zunehmend ungeduldig.“ Manche haben die Hoffnung auf die offizielle Passage bereits verloren: Die Schlepper im nahen Schmugglerdorf Lojane haben wieder Hochkonjunktur.

Die Schmuggler von Lojane

Misstrauisch beäugen halbwüchsige und schweigsame Lederjackenträger am Ortsausgang von Lojane die Fremden. Erst am späten Nachmittag bis zum Einbruch der Dunkelheit sei mit der Ankunft der Afghanen zu rechnen, erzählt im Dorfcafé ein braun gebrannter Landwirt. Am Vortag seien gut 300 Afghanen aus dem nahen Lager ins Dorf gekommen, um die illegale Passage über die grüne Grenze ins serbische Presevo zu versuchen: „Fast alle wurden von der serbischen Polizei aufgehalten – und kamen am Morgen wieder zurück.“ Viele würden sich zwar freuen, dass mit den Afghanen „endlich wieder Geld“ in das bitterarme Dorf komme: „Aber Menschenschmuggel ist für das Dorf kein gutes Geschäft. Wenn die Polizei die Leute schnappt, drohen mindestens vier bis elf Jahre Haft: Schon jetzt sitzen aus Lojane 30 Menschen im Gefängnis von Kumanovo ein.“

Der bleiche Sayeed hat gemeinsam mit seinem Freund Mustafa den Gang durch die Wälder gewagt. Die kaum mit Flaum bedeckte Oberlippe des Schülers zittert, während er von der Begegnung mit prügelnden Polizisten und raffgierigen Messerträgern erzählt, die ihm alles nahmen, was er hatte. „Sind wir denn nicht auch Menschen wie alle anderen?“, fragt er verzweifelt: „Ich bin 18 Jahre alt und weiß nicht, was meine Zukunft ist. Ich glaube, ich habe keine.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2016)

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