Wie die Spannung zwischen Wien und Athen eskalierte

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras will alle EU-Entscheidungen blockieren, bis Alleingänge einzelner Mitgliedstaaten in der Flüchtlingskrise beendet werden.
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras will alle EU-Entscheidungen blockieren, bis Alleingänge einzelner Mitgliedstaaten in der Flüchtlingskrise beendet werden.(c) APA/AFP/ARIS MESSINIS
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Die griechische Regierung hat ihre Botschafterin aus Österreich zurückbeordert. Athen fürchtet nach Beschlüssen der Westbalkankonferenz in Wien, in „ein Massenlager“ verwandelt zu werden.

Wien/Brüssel. Nach wachsenden bilateralen Spannungen in den vergangenen Tagen hat die griechische Regierung am Donnerstag ihre Botschafterin in Österreich, Chryssoula Aliferi, zu Konsultationen zurückbeordert. Ein solcher Schritt gilt als erste Eskalationsstufe bei ernsten Problemen zwischen zwei befreundeten Staaten. Gründe sind das jüngste Vorgehen der österreichischen Regierung in der Flüchtlingskrise und ihre Kooperation mit den Ländern der Balkanroute. Es müsse klar sein, dass wichtige Probleme in der Europäischen Union nicht über „außerinstitutionelle Initiativen, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert haben“ bewältigt werden könnten, heißt es im Begründungsschreiben des griechischen Außenministeriums, das der „Presse“ vorliegt.

Anlass für die Verstimmung war die Abhaltung der Westbalkankonferenz in Wien, bei der eine Eindämmung der Zuwanderung über Griechenland Richtung Norden vereinbart wurde. Vertreter aus Athen waren von der Bundesregierung nicht eingeladen worden. Griechenlands Ministerpräsident, Alexis Tsipras, hat deshalb bereits in der Nacht auf Donnerstag mit einer Blockade aller EU-Entscheidungen gedroht. „Wir werden nicht akzeptieren, dass sich unser Land in ein Massenlager für menschliche Wesen verwandelt“, so Tsipras. Das österreichische Außenministerium reagierte auf die Botschafterkonsultationen kühl. „Österreich kann die Anspannung in Griechenland nachvollziehen, nachdem der Druck auf Griechenland steigt, an einer Eindämmung des Flüchtlingsstroms mitzuwirken“, heißt es in einer kurz gehaltenen Aussendung.

Hintergrund der Nichteinbeziehung Athens war die Verärgerung in Wien, dass bisherige Vereinbarungen mit der griechischen Regierung über schärfere Kontrollen an der EU-Außengrenze nicht umgesetzt wurden. Erst vor drei Wochen hatten die Länder der Balkanroute unter Beteiligung Griechenlands in Amsterdam über mögliche Schritte zur Reduzierung des Flüchtlingsstroms beraten – allerdings laut österreichischen Regierungsvertretern ohne Konsequenzen. Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) zeigte sich am Donnerstag dennoch „überrascht“, dass Athen bei der Konferenz in Wien nicht eingeladen worden war.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) plant vorerst nicht, nach Griechenland zu reisen, um die Spannungen zu besprechen, hieß es auf Anfrage der „Presse“. Gespräche mit seinem griechischen Kollegen könnten aber beim nächsten Treffen der EU-Außenminister in Brüssel stattfinden.

Schengen-Außengrenze infrage stellen

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) kommentierte die diplomatische Verstimmung mit den Worten: „Offensichtlich kommt jetzt Bewegung in die Sache.“ Wenn Griechenland, das von der EU bisher 380 Mio. Euro für die Grenzsicherung erhalten habe, seine Grenze nach wie vor nicht schützen könne, „dann müssen wir uns fragen, ob dort die Schengen-Außengrenze sein kann“, so die Ministerin am Rand des Treffens der EU-Innenminister in Brüssel.

Der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière, hielt sich indes dezent zurück und wollte zu dem Schlagabtausch „keine psychologischen Studien anstellen“. Doch auch abseits der Psychologie ist der Sachverhalt alles andere als klar, denn beim Treffen kamen die Innenminister einer Lösung der Flüchtlingskrise nicht näher. Konsens gab es lediglich darüber, dass bis zum EU-Türkei-Gipfel am 7. März die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge „drastisch und nachhaltig“ reduziert werden müsse.

Sollte es bis dahin keine Besserung geben, kündigte Mikl-Leitner „harte Maßnahmen“ an. Auch Berlin will dann andere Saiten aufziehen und „koordinierte Maßnahmen“ setzen – welche, wollte de Maizière gestern nicht verraten. Was Deutschland auf keinen Fall akzeptieren werde, ist die „Organisation des Durchwinkens“, wie sie von Österreich und den Westbalkanstaaten bei ihrem Treffen am Mittwoch verabredet wurde – gleichwohl habe Berlin „kein Interesse an einer Eskalation“ des Streits mit Wien.

Mit der Deeskalation wird es allerdings schwierig werden, denn in einer Kernfrage – der Einbindung der Türkei – stehen sich Wien und Berlin diametral gegenüber. Während Mikl-Leitner gestern davor warnte, sich „in die Abhängigkeit von der Türkei zu begeben“, setzte ihr deutscher Kollege weiter auf die Kooperation mit Ankara.

Auf einen Blick

Griechenlands Regierung hat am Donnerstag ihre Botschafterin in Wien zu Konsultationen zurückbeordert. Athen reagiert damit auf die Beschlüsse der Westbalkankonferenz vom Mittwoch, bei der eine Eindämmung der Flüchtlingswelle über die Balkanroute beschlossen wurde, ohne Athen dabei einzubinden. Griechenlands Ministerpräsident, Alexis Tsipras, hatte daraufhin mit einer Blockade aller EU-Entscheidungen gedroht. Er fürchtet, dass sein Land mit dem Problem immer neuer ankommender Flüchtlinge alleingelassen werden könnte. Tsipras setzt auf den EU-Türkei-Gipfel am 7. März, bei dem erneut eine gesamteuropäische Lösung des Flüchtlingsproblems unter Einbeziehung Ankaras gesucht werden soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2016)

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