Reportage: Gestrandet auf den Straßen Griechenlands

Flüchtlinge warten an der griechisch-mazedonischen Grenze auf einen Zug in Richtung Serbien.
Flüchtlinge warten an der griechisch-mazedonischen Grenze auf einen Zug in Richtung Serbien.(c) APA/AFP/ROBERT ATANASOVSKI
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Die Regierung in Athen wurde von Mazedoniens strengem Grenzregime und Massenankünften in der Ägäis überrascht. Tausende Flüchtlinge warten auf Weiterreise.

Athen. Es sind chaotische Szenen, die sich derzeit an Griechenlands Nordgrenze abspielen: Das massiv verstärkte Grenzregime der Mazedonier bei gleichzeitiger drastischer Zunahme der Neuankünfte auf den Inseln der Ostägäis haben die Regierung in Athen völlig überrascht. Täglich passieren nun lediglich drei- bis vierhundert Syrer und Iraker die Nordgrenze. Die Ankünfte aus der Türkei bewegten sich aber bis Donnerstag zwischen 2500 und 3500 Menschen.

Griechenland hat den Kampf mit den Flüchtlingszahlen also bereits so gut wie verloren. Fast ironisch wirkt es da, dass Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi dem Mittelmeerland am Mittwoch gewaltige Fortschritte beim Aufbau der Lagerinfrastruktur bescheinigte – abgesehen von den Hotspots auf den Ägäis-Inseln baute das griechische Militär im Eiltempo zwei stillgelegte Kasernen zu Auffanglagern um: Schisto in Attika und Diavata bei Thessaloniki werden in der letzten Ausbaustufe insgesamt 8000 Menschen aufnehmen können. Dazu kommen die zwei existierenden Lager in Elaiona und Elliniko, beide in Attika, mit einem Fassungsvermögen von etwa 1500 Menschen – all das ist schon jetzt viel zu wenig.

Strom auf ganzes Land verteilt

Die Lage droht nun außer Kontrolle zu geraten. An der Nordgrenze warten in den provisorischen Lagern privater Hilfsorganisationen, in eigenen Zelten und in den Äckern der Gegend etwa 3000 Syrer und Iraker auf den Grenzübertritt – sie hoffen auf baldige Weiterreise. Vor allem aber hat sich durch die plötzliche Sperrung der Flüchtlingsstrom auf das ganze Land verteilt. In der Hafenstadt Kavala in Nordostgriechenland gingen etwa 1000 Flüchtlinge an Land und wurden provisorisch im Schwimmzentrum untergebracht. Mittel- und nordgriechische Städte wie Trikala, Grevena oder Kalambaka sehen sich mit gestrandeten Flüchtlingen konfrontiert. Deren Busse, die Richtung Nordgrenze fuhren, wurden von der Polizei gestoppt und in die nächstliegenden Städte umgeleitet.

Besonders brisant ist die Situation bei der Mautstation zum Tempi-Tal, dem Nadelöhr zwischen Mittel- und Nordgriechenland. Dort strandeten etwa 700 Flüchtlinge, die nun schon zwei Tage im Freien im Umfeld der Mautstation kampieren und auf eine Weiterfahrt warten. Und so mischen sich syrische Familien, die auf mitgebrachten Decken auf dem Boden lagern, unter die protestierenden griechischen Bauern vor ihren Traktoren und Heuhaufen, die hier seit Wochen eine Blockade aufgebaut haben, um die neue Pensionsreform zu Fall zu bringen. Einige der blockierten Syrer versuchten, zu Fuß Richtung Norden weiterzugehen – ein aussichtsloses Unterfangen, bis Idomeni sind es noch mehrere hundert Kilometer.

Überrascht wurden die Griechen vor allem von der plötzlichen Ablehnung der Afghanen an der mazedonischen Grenze. Sie waren bisher als Flüchtlinge anerkannt und nach Norden weitergeleitet worden. Von den etwa 70.623 Personen, die nach griechischen Polizeiquellen im Jänner 2016 illegal nach Griechenland einreisten, waren knapp 20.000 Afghanen – die zweitstärkste Flüchtlingsnation nach den Syrern. Sie werden wie die Wirtschaftsmigranten der anderen Nationen bereits im Hafen von Piräus von den Syrern und Irakern getrennt und in die attischen Lager umgeleitet.

Umschlagplatz für Informationen

Das ist ein großer Fortschritt zu den chaotischen heißen Sommertagen 2015, als Hunderte Afghanen ihre Zelte zunächst im zentralen Athener Ares-Park aufbauten und nach dessen Räumung ein Stück weiter Richtung Victoria-Platz abwanderten.

Aber auch heute noch führen alle Wege zum Victoria-Platz. Von Elaionas und Elliniko per U-Bahn leicht erreichbar, ist er nach wie vor der Umschlagplatz für Informationen, Handy-Wertkarten, Bustickets – und Schlepperdienste. Donnerstagmittag war alles ruhig auf dem Platz, auf dem sich zwei- bis dreihundert Menschen befanden, zum Großteil Afghanen.

Das war nicht immer so. Bis 2013 gehörte der Platz zum Einzugsgebiet der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte, aber auch von Anarchistengruppen, die mit Fahnenstangen auf sie Jagd machen. Nachdem die Führungsgarnitur der Rechtsradikalen verhaftet worden war, entspannte sich die Lage im multikulturellen Athener Zentrum aber merklich. Doch viele kommen auch aus den Lagern, um eine Reisegelegenheit zu finden. Einige Familien haben ihre Decken ausgebreitet, also auch über Nacht auf dem Platz Quartier aufgeschlagen. „Ich bin über den Iran und die Türkei nach Griechenland gekommen“, sagt ein junger Afghane. Wohin geht der Weg? „Nach Deutschland.“

Aber er hat kein Geld für einen illegalen Grenzübertritt und wartet auf die Grenzöffnung. „In Afghanistan werden wir von den Taliban umgebracht“, sagt er. „Weißt du, wann die Grenze aufsperrt?“

Auf einen Blick

Nachdem Mazedonien nur wenige Hundert Menschen täglich auf ihrem Weg nach Norden einreisen lässt, herrscht Panik unter Flüchtlingen in Griechenland. Hunderte von ihnen brachen aus Auffanglagern aus und machten sich am Donnerstag zu Fuß auf den Weg zur mazedonischen Grenze. Die Flüchtlingskrise bringt das wirtschaftlich angeschlagene Griechenland in die Bredouille. Für Rettungsaktionen auf See, Infrastruktur und Rückführungen werde man heuer mindestens 600 Millionen Euro ausgeben, so die Zentralbank.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2016)

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