Athen hält Flüchtlinge vom Festland fern

Two stranded migrants sit at a pier at the port of Piraeus, near Athens
Two stranded migrants sit at a pier at the port of Piraeus, near Athens(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Der Fährverkehr von den Inseln wurde eingeschränkt. Regierung lehnt Besuch Mikl–Leitners wegen Streits um Grenzregime ab.

Athen. Johanna Mikl-Leitner ist in Griechenland nicht willkommen: Diese unverhohlene Botschaft aus dem Athener Außenministerium hat am gestrigen Freitag die nächste Runde im diplomatischen Kleinkrieg zwischen dem Mittelmeerland und Österreich markiert. Tags zuvor hatte Premier Alexis Tsipras bereits die griechische Botschafterin in Wien für Konsultationen nach Athen zurückbeordert. Griechenland ist verstimmt, weil es durch die von Österreich initiierten strengeren Grenzkontrollen und das Zurückweisen von Afghanen auf der Balkanroute in eine prekäre Lage geraten ist: Im Land gibt es einen massiven Flüchtlingsrückstau. Die Innenministerin wollte deshalb baldigst nach Athen reisen, um ihre Position persönlich zu erläutern. Laut Tageszeitung „Kathimerini“ soll Mikl-Leitner aber erst willkommen sein, wenn Österreich die nach griechischer Auffassung „einseitigen Beschlüsse“, die die heimische Regierung mit den Balkanstaaten gefasst hat, zurücknimmt.

Grund für die Verärgerung war eine Balkankonferenz am vergangenen Mittwoch in Wien, bei der die Eindämmung des Flüchtlingsstroms beschlossen wurde. Griechische Vertreter waren zu den Beratungen jedoch nicht geladen. Positiv kommt in Griechenland derzeit nur der „alte Freund“ Heinz Fischer weg: Er habe ebenfalls kein Verständnis für den Ausschluss von der Konferenz, hieß es.

Auf Griechenlands Straßen bietet sich indes ein zunehmend chaotisches Bild. Bei Idomeni lagern um die 3000 Flüchtlinge, die mazedonischen Behörden haben ab Donnerstag nur noch rund 150Menschen passieren lassen. Busse mit Flüchtlingen, die in Richtung Nordgrenze unterwegs sind, werden von der griechischen Polizei aufgehalten oder abgewiesen.

Dritte Nacht im Bus

Die Flüchtlinge übernachten zum Teil bereits die dritte Nacht in den Bussen, auf Parkplätzen und Raststationen oder in Notunterkünften in den umliegenden Städten. Private Hilfsorganisationen und Gemeinden versuchen, die Flüchtlinge so gut wie möglich zu versorgen, die Infrastruktur auf der Strecke ist jedoch völlig unzureichend. Angesichts der Notlage der Menschen ist es kein Wunder, dass erste Fälle von Preistreiberei und Ausbeutung der hoffnungslosen Lage der Flüchtlinge vermeldet wurden: In einem Fall wurden Wasserflaschen völlig überteuert an Flüchtlinge verkauft – ein Helfer wurde von den Verkäufern niedergeschlagen, weil er in ihrer unmittelbaren Nähe Wasserflaschen umsonst verteilte.

Aufhorchen lassen auch erste Nachrichten von Flüchtlingsströmen an die albanisch-griechische Grenze beim griechischen Ort Kakavia. Am Donnerstag sollen sich mehrere Hundert Syrer an der Grenze aufgehalten haben. Albaniens Regierung ließ verlauten, dass sie sich auf die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen vorbereite. Das Land bleibt dabei dem Anschein nach der Linie der anderen Staaten auf dem westlichen Balkan treu, die auf der Flüchtlingsroute liegen: Syrische und irakische Flüchtlinge werden nach verschärften Kontrollen durchgelassen; andere Nationen abgewiesen. Es ist daher kein Zufall, dass zwölf pakistanische Migranten, die am Mittwoch die albanische Grenze illegal überquert haben und aufgegriffen wurden, von den albanischen Behörden wieder nach Griechenland zurückgeschoben wurden.

Auf Fähren untergebracht

Schätzungen über die Zahl der Migranten im Land sind wegen der täglichen Neuankünfte in der Ostägäis schwierig – zwischen den Inseln und der Nordgrenze dürften momentan 12.000 bis 15.000 Menschen unterwegs oder in den Auffanglagern untergebracht sein. In dieser Zahl sind untergetauchte Wirtschaftsmigranten und jene 13.000 Menschen, die 2015 Asylanträge in Griechenland gestellt haben, aber noch nicht einberechnet. Ein Plan von Schifffahrtsminister Thodoris Dritsas soll die Ströme zum Festland deshalb vorübergehend verringern: Der Transfer von den Inseln wurde bereits am gestrigen Freitag stark gedrosselt. Die Fährschiffe, die die Flüchtlinge von Lesbos, Chios und Samos zum Festland bringen sollten, bleiben vor den Inseln liegen und werden als „Hotel“ genutzt. Dies sei eine rein vorübergehende Maßnahme, so Dritsas – um sich Zeit zu verschaffen, die Aufnahmestrukturen auf dem Festland auszubauen. Er wolle jedenfalls nicht zulassen, dass die Lage auf den Inseln nun wieder außer Kontrolle gerate – die Maßnahme dürfte demnach also auf einige wenige Tage begrenzt sein.

In der griechischen Regierung macht sich nun die Hoffnung breit, dass wenigstens die in diesen Tagen beginnenden Patrouillen von Nato-Schiffen in den Gewässern der Ostägäis den Flüchtlingsstrom vom türkischen Festland reduzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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