Lech Wałęsa: "Ich kann noch Ordnung machen"

Lech Wałęsa will notfalls eine neue EU der Willigen.
Lech Wałęsa will notfalls eine neue EU der Willigen.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Polens Ex-Präsident spricht über seine Kontakte zum kommunistischen Geheimdienst, den Kampf gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau und die Krise der EU.

Vor Kurzem aufgetauchte Dokumente sollen belegen, dass Sie in den 1970er-Jahren ein Spitzel gewesen sind. Ganz direkt gefragt: Haben Sie jemals für den polnischen Geheimdienst gearbeitet?

Lech Wałęsa: Nein, nie – im Sinn von Verrat und dem Verraten von Freunden. Aber ich hatte eine Wahl zwischen zwei Wegen: gar keine Gespräche zu führen – oder zu sprechen, zu verhandeln, zu überzeugen, kennenzulernen. Ich habe letzteren Weg gewählt.


Laut den Dokumenten haben Sie eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben, Informationen weitergegeben, Geld erhalten. Wie sah Ihre Beziehung zum Geheimdienst aus?

Ich habe nichts Derartiges unterzeichnet! Die Verpflichtungserklärung habe ich nicht unterschrieben. Das wurde später produziert – und ich werde das vor Gericht beweisen!


Und das Geld, das Sie angeblich erhalten haben?

Nein, nein, das hat auch der Geheimdienst produziert.


Wie war Ihre Beziehung zum Geheimdienst?

Sie müssen diese Zusammenarbeit auf andere Weise verstehen. Sie wollten einen Sieg für die kommunistischen Machthaber. Mein Interesse war genau entgegengesetzt: ihnen möglichst wenig zu geben, Kräfte meinerseits zu sparen, den Gegner zu entschlüsseln. Zu kämpfen – und zu siegen. Wer hat gesiegt? Ich! Also wer hat wem geholfen: ich ihnen oder sie mir? Das ist doch einfach!


Wie wollen Sie Ihre Version beweisen?

Diejenigen, die dieses Material angefertigt haben, sind zu mir gekommen – und sie werden alles bestätigen, was ich hier sage. Kann man einen besseren Beweis haben? Deshalb lache ich über das alles.


Die polnische Regierung der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jarosław Kaczyński geht gegen politische Gegner und unabhängige Journalisten vor und hat das Verfassungsgericht entmachtet. Was läuft in Polen ab?

Das Problem besteht darin, dass mein Kampf, der Kampf der Solidarność, viele Teilungen dieser Welt aufgehoben hat: die Teilung in zwei Blöcke, die undurchlässigen Grenzen zwischen den Staaten. Das heißt, wir sind von einer Denkweise in Kleinstaaten und Ländern zu größeren Organisationseinheiten übergegangen. Wir schaffen Grenzen ab, wir führen eine einzige Währung ein – das alles ist gut, aber es erfordert neue Fundamente.


Die Entwicklungen, die Sie beschrieben haben, scheinen eher rückläufig zu sein. In Europa gibt es wieder Grenzen, und angesichts des politischen Konflikts mit Russland sprechen einige von einem neuen Kalten Krieg.

Man kann so denken wie Sie. Ich denke anders. Wir waren und sind nicht auf diese Prozesse vorbereitet. Es gibt in Europa keine Solidarität, kein Denkmuster nach dem Motto „Staat Europa“.


Sie sagen also, dass das, was in Polen gerade passiert, auf ein größeres Problem innerhalb Europas hinweist?

Genau. Die Frage ist jetzt: Auf welchen Fundamenten wollen wir das gemeinsame Europa aufbauen? Wenn kein Konzept vorhanden ist, dann erwachen die Dämonen. In Frankreich haben die Le-Pen-Leute gesiegt, in Polen die Kaczyńskis, und in den USA gibt es irgendwelche Trumps und solche Menschen.


Alles keine Rechtfertigung dafür, Eckpfeiler der Demokratie zu demontieren.

Ich war selbst Präsident. Ich konnte nicht allzu viel tun, das hat das Gesetz nicht zugelassen. Ich habe versucht, mit Dekreten zu regieren, das amerikanische Präsidialsystem einzuführen – es ging nicht. Deshalb habe ich dann die Wahlen verloren. Die Leute, die jetzt an der Macht sind, waren damals in meinem Umfeld. Sie haben gesehen, dass ich mich bemühe, aber dass ich es nicht schaffe. Sie haben beschlossen, das Gleiche zu machen, aber anders. Nur: Ich wusste, was ich machen will. Nicht für mich selbst, sondern für die Sache. Ich habe Zweifel, ob sie auch so denken. Oder ob sie nicht das Gleiche wollen, aber für sich persönlich.


Das ist die Frage: Was will Kaczyński?

Wenn er durchschlagskräftiger sein will als Wałęsa und die Probleme besser lösen will als Wałęsa – dann: Ehre gebühre ihm! Aber wenn er nur aus Machtwillen für seine Gruppe handelt – dann ist er ein gefährlicher Diktator! Auf diese Frage habe ich keine Antwort.


Wie wird es weitergehen?

Die Polen werden sich nicht unterkriegen lassen. Ich schalte mich da vorerst nicht ein. Aber wenn es notwendig sein wird, dann werde ich die Rolle eines Lenkrads spielen.


Wie lang wollen Sie zuschauen?

Ein Jahr circa. Diejenigen, die jetzt regieren, haben dem Volk demagogisch-populistisch viel versprochen, und das Volk wartet jetzt, dass diese Dinge erfüllt werden. Wenn ich heute den Kampf aufnehmen wollte, hätte ich sicher nicht die Hälfte des Volkes hinter mir. Man muss ein bisschen warten. Nur so kann man siegen.


Wie genau wollen Sie sich einschalten?

Sie werden mich schon einsetzen. Sie wissen, was für ein Gewicht ich habe. Ich kann noch Ordnung machen, wenn es sich als notwendig erweisen sollte.


Sie haben im Dezember vor einem Bürgerkrieg in Polen gewarnt.

Ich weiß, dass ein solches Regieren in Polen zwangsläufig auf entschiedenen Widerstand treffen muss. Das habe ich Krieg genannt, denn dann muss man die Gruppe, die jetzt regiert, aus der Regierung entfernen. Das muss maximal demokratisch erfolgen, deshalb habe ich damals in diesem Zusammenhang ein Referendum erwähnt. Aber das kann man noch nicht vorschlagen, weil viele Leute noch auf die Erfüllung der populistischen Versprechen warten.


Ist das der Grund, warum der kollektive Aufschrei in Polen nicht größer ist?

Ja. Die Leute warten. Aber die Regierenden haben nicht genug Mittel, um diese Versprechen zu realisieren.


Mit anderen Worten: Die Regierung wird sich mit der Zeit selbst demontieren?

Ja!


Die Venedig-Kommission des Europarats hat die Reform des Verfassungsgerichts in Polen als Gefährdung der Demokratie gebrandmarkt. Wie sollte die EU reagieren?

Kurz gesagt: Gutes belohnen und Schlechtes bestrafen.


Wie bestrafen?

Europa hat seine Verfahrensmöglichkeiten. Diese muss man mit Entschiedenheit durchführen.


Echte Sanktionen würden wohl am Veto einiger EU-Mitglieder scheitern, wie Ungarn.

Das habe ich ja gesagt: Wir sind nicht vorbereitet. Europa ist instabil und nicht durchschlagskräftig genug. Europa hat keine Ideen, wie man weiter fortschreiten soll. Es droht sogar eine Auflösung der Europäischen Union.


Wie kritisch ist ihr Zustand?

Egal, was passiert: Ein paar Leute müssen vorausschauen und vorbereitet sein. Am Tag nach der Auflösung der EU muss eine neue Union entstehen. Man braucht drei führende Staaten: Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Sie überlegen sich: Wie soll die neue EU funktionieren? Was baut auf, und was stört? Dann müssen Strukturen ausgearbeitet werden. Und für den Fall, dass sich die alte EU auflöst, gibt es eine neue Union. Wer mit ihr einverstanden ist, darf teilnehmen. Und die Hooligans sind ausgeschlossen.


Würde ein Polen unter Jarosław Kaczyński dann zu den Hooligans zählen?

Wahrscheinlich schon. Aber er würde sich selbst ausschließen. Wer einverstanden ist, darf ja mitmachen.

Steckbrief

Lech Wałęsa, geboren 1943, war von 1980 bis 1990 Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność und trug maßgeblich zum demokratischen Wandel Polens bei. 1983 erhielt er den Friedensnobelpreis. Von 1990 bis 1995 war der gelernte Elektriker Staatspräsident seines Landes.

In Österreich ist Wałęsa auf Einladung des oberösterreichischen Thinktanks Academia Superior. Er ist der Stargast des heurigen Surprise-Factors-Symposiums, das vom 11. bis 13. März in Gmunden stattfindet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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