Polen: Massenprotest gegen PiS-Regierung

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Die Regierung in Warschau will trotz Einwänden des Europarats und Demonstrationen im Land an den umstrittenen neuen Verfahrensregeln für das Verfassungsgericht festhalten.

Warschau. Der Krach ist kaum auszuhalten. Zehntausende Polen blasen in ihre Vuvuzela-Hörner und ziehen vom Verfassungsgericht zum Präsidentenpalast. Viele tragen polnische und EU-Flaggen, hie und da ist auch eine ukrainische Flagge zu sehen. „Publiziert das Urteil!“, heißt es auf Transparenten. Und: „Kaczyński, überspanne deinen Bogen nicht!“ Die Demonstranten ziehen geordnet und friedlich vorbei, Jung und Alt, Arm und Reich. In den wenigen Wochen seit den ersten Demonstrationen ist eine neue Bürgerbewegung entstanden.

Allein in Warschau sind am Samstag mindestens 50.000 Bürger einem Aufruf der liberalen Oppositionspartei Nowoczesna (Die Modernen) und der Bürgerinitiative Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) gefolgt und für die Erhaltung der Verfassung von 1997 auf die Straße gegangen. Sie forderten die Publikation des letzten Urteils des Verfassungsgerichts vom Mittwoch, wonach die ihm zugedachten neuen Verfahrensregeln verfassungswidrig seien.

Die Regierungsmehrheit der Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte diese kurz vor Neujahr durch das Parlament gepeitscht. Laut Expertenmeinung wird dadurch die Arbeit des Verfassungsgerichts auf Jahre hinaus blockiert. Diesen Standpunkt hat am Freitag auch die Venedig-Kommission des Europarates vertreten. Ein polnischer Regierungssprecher kündigte jedoch bereits einen Tag später an, dass man an den neuen Verfahrensregeln festhalten werde. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom Mittwoch sei illegal zustande gekommen und werde deshalb nicht veröffentlicht.

Das Beratergremium des Europarats für Verfassungsfragen sieht in Polen Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte in Gefahr. Das Verfassungsgericht sei durch die von der Regierungsmehrheit im Parlament verabschiedeten Verfahrensregeln lahmgelegt worden. Unter anderem werden dadurch das Richterquorum erhöht und Anfragen zukünftig nach Reihenfolge ihres Eingangs behandelt. Diese Bestimmungen machen ein vernünftiges Arbeiten des Gerichts unmöglich. Ausgeheckt wurden sie vom PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński persönlich.

Reform der Richterwahl

Ministerpräsidentin Beata Szydło hatte am späten Freitagabend angekündigt, den Bericht der Venedig-Kommission nun dem Parlament zur Diskussion zu überreichen. Die Opposition rief sie dazu auf, kooperativ zu sein. Im Kaczyński-Lager kursiert ein Kompromissvorschlag der regierungsfreundlichen Protestpartei Kukiz 15. Dieser sieht vor, alle Verfassungsrichter neu zu wählen, allerdings nicht wie bisher mit der einfachen, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit. Dies würde bedingen, dass sich Regierung und Opposition auf 15 Kandidaten einigen müssten. Was mit den verfassungswidrigen Verfahrensregeln geschieht, bleibt unklar. Kaczyński dürfte alles tun, um diese zu retten, denn ein arbeitsfähiges neues Verfassungsgericht könnte seine zum Teil autoritären Staatsreformpläne stören. Bald steht etwa das sogenannte große Mediengesetz an, welches die Verstaatlichung von Verlagen, die sich bisher teilweise in ausländischer Hand befinden, ermöglichen soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2016)

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