Hongkong: Wenn Peking seine Panzer schickt

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Die Anti-China-Bewegung der Sonderverwaltungszone wächst rasant. Der Film "Ten Years" prophezeit der Stadt für 2025 Chaos und Unterdrückung - er wurde zum Kassenschlager.

Hongkong/Wien. „Wie könnte Hongkong unabhängig werden?“ Das sei unmöglich, sagte Qiao Xiaoyang, Vorsitzender des Rechtsausschusses im chinesischen Parlament. In dem Artikel „Unser 2047“ hat ein Studentenblatt die UNO diese Woche aufgefordert, Hongkong in den nächsten 30 Jahren als eigenen Staat anzuerkennen: Als Großbritannien Hongkong 1997 an China übergab, einigten sich Peking und London darauf, der früheren Kronkolonie unter dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ 50 Jahre Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie eine relativ autonome Selbstverwaltung zu gewähren.

Die Zukunft der chinesischen Sonderverwaltungszone nach 2047 ist ein heiß debattiertes Thema. Besonders junge Leute werfen Peking vor, Hongkongs Unabhängigkeit schon jetzt untergraben zu haben. Ähnliches suggeriert der Film „Ten Years“. In fünf Kurzfilmen beschwört er bereits für 2025 apokalyptische Szenen herauf: Panzer der Volksbefreiungsarmee rollen in Hongkong ein, eine Sympathisantin der Unabhängigkeitsbewegung verbrennt sich vor der britischen Botschaft und ein Taxifahrer wird marginalisiert, weil er nur Kantonesisch spricht – Peking hatte die frühere Amtssprache durch Mandarin ersetzt.

Trotz des knappen Budgets war der Independent-Film in der Hafenstadt ein Kassenschlager. In seiner zweimonatigen Laufzeit spielte er sechs Millionen Hongkong-Dollar ein (700.000 Euro), in manchen Kinos erwirtschaftete „Ten Years“ gar mehr als die neue „Star Wars“-Episode. Derzeit wird der Film nur mehr privat gezeigt und über Facebook beworben. Dass die städtischen Kinos den Streifen trotz ungebrochenen Interesses nicht mehr ausstrahlen, sei Peking geschuldet, meinen Kritiker. Die Führung habe zu viel Druck ausgeübt. Dafür spricht, dass Asiens Oscar-Pendants, die Hongkong-Film-Awards und die Taiwan-Film-Awards, auf dem Festland heuer erstmals seit 25 Jahren nicht ausgestrahlt werden dürfen. „Ten Years“ ist bei beiden Festivals Anwärter auf den Preis für den besten Film. Schonungslos verarbeiten die fünf Regisseure den vermeintlich wachsenden festlandchinesischen Einfluss.

Film spricht Ängste an

„Verstoße ich etwa gegen das Gesetz, weil ich Eier verkaufe?“, fragt ein Greißler in einem Abschnitt das Mitglied einer Jugendgarde. „Nein, aber das Wort lokal ist verboten“, antwortet der Bub. „Hätten die Menschen keine Angst, wer würde sich um das Sicherheitsgesetz scheren?“, fragt ein Beamter in einem anderen Teil. Darin heuert die Zentralregierung zwei Kleinverbrecher an. Sie sollen einen Terroranschlag verüben, um mehr Unterstützer für die Regelung zu mobilisieren. 2003 ist eine halbe Million Menschen gegen ein geplantes Sicherheitsgesetz auf die Straße gegangen.

Schon lang sei er wegen Hongkongs mangelnder Zukunftsperspektiven niedergeschlagen, erklärte der Initiator des Films, Ng Ka-leung. Damit ist er nicht der Einzige: Jahrelang schon kämpft ein Teil der Hongkonger für Autonomie, zuletzt wird die Anti-China-Bewegung immer radikaler. Wochenlange Demonstrationen gegen einen von der Zentralregierung forcierten patriotischen Unterricht 2012 kulminierten 2014 in der 79 Tage dauernden Regenschirm-Bewegung. Im Kampf für freie Wahlen kam es damals zu Demonstrationen, Sitz- und Hungerstreiks. Im Februar schockierten Anhänger lokalpatriotischer Bewegungen durch die ersten blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei seit 1979. Sie stemmten sich gegen die Räumung illegaler Spezialitätenstände zu Neujahr. Für Befürchtungen, Peking habe es auf Hongkongs Pressefreiheit abgesehen, sorgte das monatelange Verschwinden fünf kritischer Verleger vergangenes Jahr.

Peking weist die Schreckensszenarien im Film als absurd zurück. Die Prophezeiungen würden in den nächsten zehn Jahren nicht eintreffen, heißt es in einem Kommentar der regierungsnahen „Global Times“. Dennoch gesteht der Autor ein: Die Beliebtheit des Films reflektiere die jüngsten Ängste einiger Hongkonger, schreibt er. „Die Umsetzung von ,Ein Land, zwei Systeme‘ ist offensichtlich komplizierter als ursprünglich gedacht.“

AUF EINEN BLICK

„Ten Years“ spiegelt die Ängste vieler Hongkonger wider. In manchen Kinos der Stadt spielte der Film damit mehr Geld ein als die neue „Star Wars“-Episode. Vor allem junge Leute fürchten einen wachsenden festlandchinesischen Einfluss. Diese Woche forderten Studenten, die UNO soll Hongkong bis 2047 als eigenen Staat anerkennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2016)

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