Zensur: Chinas Intellektuelle wagen Kritik an Staatschef

(c) REUTERS (JASON LEE)
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Ein berühmter Kolumnist soll verschwunden sein, weil er in einem offenen Brief den Rücktritt von Staatschef Xi Jinping gefordert hat. Das Schreiben ist der Höhepunkt einer Welle öffentlicher Kritik an Chinas Medienpolitik.

Wien/Peking. „Ich bin kein Sprachrohr der Partei“, lautet das Motto des Journalisten Jia Jia. Regelmäßig wagte er sich in seinen Online-Kolumnen an sensible Themen. Vorerst ist es jedoch vorbei mit den sarkastischen und pointierten Kritiken an Chinas Regierung. Auf dem Weg nach Hongkong habe die Polizei den 35-Jährigen vergangenen Dienstag auf dem Pekinger Flughafen „mitgenommen“, bestätigte sein Anwalt. Nicht einmal seine Ehefrau wisse, wo sich Jia aufhält.

Chinas Führung beschuldigt den Journalisten, einen offenen Brief an Staatschef Xi Jinping zu Beginn des Nationalen Volkskongresses Anfang März mitverfasst zu haben. Die Autoren – sie unterzeichneten als „loyale Mitglieder der Kommunistischen Partei“ – forderten den Rücktritt des Parteichefs: Xi habe alle Macht an sich gerissen. Daher sehe sich China mit beispiellosen Krisen in Politik, Wirtschaft und Kultur konfrontiert. Auch den medienwirksamen Besuch Xis in den drei großen Staatsmedien Mitte Februar kritisierte das Schreiben: Xis Aufruf, alle Medien Chinas müssten künftig „mit Familiennamen ,Partei‘ heißen“, habe die ganze Nation schockiert.

Jia selbst dürfte den Brief nicht verfasst haben. Er warnte seinen Bekannten Ouyang Hongliang, nachdem der Herausgeber das Schreiben auf seiner Nachrichtenseite Wujie News veröffentlicht hatte. Auch Ouyang gilt mittlerweile als vermisst.

Die anonyme Kritik ist nur eine von vier jüngsten Attacken auf Xi und seine Medienpolitik: „Seit wann ist die Volksregierung zur Parteiregierung geworden?“, fragte der berühmte Blogger Ren Zhiqiang nach Xis Medientour im Internet. „Nutzt kein Steuergeld, um Dinge zu tun, die nicht im Dienst der Steuerzahler sind!“ Die Kommentare des pensionierten Bauunternehmers mit 38 Millionen Folgern machten zwar rasant die Runde. Kurz darauf sperrten Chinas Zensoren die Mikroblog-Konten von „Kanonen-Ren“ aber. Die Begründung: Ren habe das Internet dazu genutzt, „illegale Informationen zu veröffentlichen, die einen negativen Einfluss besitzen“.

Angst vor Kulturrevolution

Ungeachtet dessen veröffentlichte das Finanzmagazin Caixin, eine der letzten Bastionen unabhängigen Journalismus in China, Anfang März ein Interview mit einem Delegierten der Politischen Konsultativkonferenz, einem Gremium im Nationalen Volkskongress. Jiang Hong hatte die Regierung aufgefordert, mehr Meinungen und Vorschläge der beratenden Ausschüsse anzunehmen. Diesmal auf Englisch berichtete Caixin wenig später, die Internetzensurbehörde habe das Interview gelöscht. „Ich sehe in dem gelöschten Artikel nichts Illegales“, kritisierte Jiang den Schritt. Auch diesen Text nahmen die Zensoren aus dem Netz.

Dass Caixin auf Chinesisch und Englisch auf die Zensur hinwies, zeige klar, „dass es in der Partei Strömungen gibt, denen die strikte Zensur unter Xi zu weit geht“, sagt Kristin Shi-Kupfer vom Merics-Insitut in Berlin. Zumal wenig später auch Kritik von einem Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Xinhua laut wurde: Die massive Unterdrückung im Internet habe Angst und Empörung in der Bevölkerung ausgelöst. Die Menschen seien besorgt, es könne eine neue Kulturrevolution ausbrechen, hieß es in dem im Internet verbreiteten Brief.

Brisant ist angesichts der Entwicklungen der Besuch des deutschen Bundespräsidenten, Joachim Gauck. Der DDR-Dissident und Theologe hat vor seiner fünftägigen Reise angekündigt, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2016)

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