Österreich als Reiseland und Endstation für Terroristen

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Ein Paris-Attentäter war 2015 in Österreich; vier Männer mit Bezug zu den Paris-Kommandos sitzen in Salzburg in U-Haft.

Wien/Salzburg. Es gebe keinen Grund zur Panik. Mit Worten wie diesen war Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Dienstag nach den Anschlägen von Brüssel um Beruhigung der Öffentlichkeit bemüht. In Österreich könne man allenfalls von einer „abstrakten Gefährdung“ sprechen.

Tatsache ist: Die Sicherheitsvorkehrungen wurden auf Flughäfen, bei internationalen Organisationen und auf Bahnhöfen erhöht. Die Polizeipräsenz wurde verdichtet. Ein Krisenstab wurde gebildet – bestehend aus Vertretern des Innen-, Außen-, Verteidigungs- und Infrastrukturressorts.

4000 Österreicher in Brüssel

Die 4000 Auslandsösterreicher, die in der belgischen Hauptstadt leben, wurden via SMS ersucht, den Anweisungen der belgischen Behörden zu folgen und öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Für besorgte Angehörige wurden Hotlines (+43/(0)1/ 901 15 44 11 für Österreicher in Belgien und 050/115 044 11 für Österreich) eingerichtet.

Auch der Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, warnte vor Panik, wurde im ORF-„Mittagsjournal“ aber deutlicher: Überall in Europa herrsche erhöhte Terrorgefahr. „Wir können uns da nicht ausnehmen. Die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist groß.“ Anzeichen für die Internationalisierung des Terrors seien auch darin zu erkennen, dass viele Europäer in den Diensten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stünden.

Tatsächlich: An die 200 Terrorverfahren wurden voriges Jahr in Österreich geführt. Es gab zwei Dutzend Verurteilungen. Auch dieser Tage lief bzw. läuft in Graz eine IS-Terrorprozess-Serie. Die meisten Verfahren betreffen die Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS. Eine wesentliche Gruppe bisher diesbezüglich Verurteilter besteht aus Tschetschenien-Flüchtlingen.

Aktuell sitzen in Salzburg sechs Männer ein, die als Flüchtlinge getarnt nach Österreich kamen. Zwei der sechs U-Häftlinge stehen unter dringendem Verdacht der IS-Mitgliedschaft, gegen einen der beiden – es handelt sich um den Syrer Hamad A. (28) – gibt es schon eine Terroranklage, diese wurde zuletzt ins Arabische übersetzt („Die Presse“ berichtete exklusiv).

Vier Männer dieser sechsköpfigen Gruppe stehen sowohl unter dem Verdacht der IS-Mitgliedschaft als auch unter dem speziellen Verdacht, einen Konnex zu den Paris-Attentätern vom November 2015 mit 130 Toten und 352 zum Teil schwerst Verletzten zu haben.

Zwei Männer dieses Quartetts, der laut Geheimdienstquellen im Umgang mit Sprengstoff geschulte Muhammad U. (22) aus Pakistan und der 28-jährige Algerier Adel H., reisten am 3. Oktober 2015 mit einem 30 bis 40 Personen fassenden Flüchtlingsboot nach Griechenland (Insel Leros) und damit in die EU ein. Mit an Bord: zwei spätere Paris-Attentäter. Letztere sind den griechischen Behörden nicht aufgefallen. Die beiden nunmehr in Salzburg Inhaftierten sind hingegen an der Weiterreise gehindert worden.

Ihre gefälschten syrischen Pässe sind sehr wohl aufgefallen. Allerdings: 25 Tage später durfte auch dieses Duo weiterreisen. Ende November – die Paris-Attentate waren bereits vorbei – langten die Männer in Salzburg ein, wo sie in einer Flüchtlingsunterkunft der Asfinag untergebracht wurden. Am 10. Dezember nahmen österreichische Behörden – nach Hinweisen ausländischer Geheimdienste – die beiden Männer unter dringendem Terrorismusverdacht fest.

Acht Tage später rückte das Einsatzkommando Cobra erneut aus: Zwei weitere Männer, die sich als Flüchtlinge ausgegeben hatten und die nunmehr im Verdacht standen, enge Kontakte zu dem bereits verhafteten Duo gehabt zu haben, wanderten ebenfalls in U-Haft.

Derzeit laufen länderübergreifende Ermittlungen (sogenannte Rechtshilfeersuchen), zu denen die Staatsanwaltschaft Salzburg trotz des enormen öffentlichen Interesses nur zeitversetzt und in sehr groben Zügen Auskunft geben will. Es handle sich um eine Verschlusssache, heißt es.

Verkehrskontrolle für Terroristen

Jedoch hat sich Österreich nicht nur als Land entpuppt, in dem sich Terrorverdächtige verstecken wollen, sondern auch als Reiseland für mutmaßliche Terroristen. Genau jener Mann, der vergangenen Freitag in Brüssel nach viermonatiger Flucht der Polizei endlich ins Netz ging – jener Mann also, dessen Verhaftung möglicherweise der Auslöser für den aktuellen Brüssel-Terror ist, nämlich der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam (er ist französischer Staatsangehöriger) –, hielt sich vergangenes Jahr in Österreich auf. Am 9. September geriet er im Gemeindegebiet von Aistersheim, Oberösterreich, in eine Verkehrskontrolle – diese galt jedoch nicht möglichen Terroristen, sondern möglichen Schleppern. Zwei Männer waren bei Abdeslam im Auto, das Richtung Wien weiterfahren durfte. Einer der beiden könnte der 24-jährige Najim Laachraoui gewesen sein.

Er war offenbar einer der Fluchthelfer von Abdeslam, als sich Letzterer nach dem Paris-Terror nach Brüssel absetzte. Übrigens: Der bosnische Prediger Husein Bilal Bosnić, der derzeit in seiner Heimat in Haft ist, soll auch in Österreich für den IS rekrutiert haben. Interessant ist, dass Bosnić auch in Belgien, nur 70 Kilometer von Abdeslams Wohnort entfernt, gepredigt hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2016)

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