"Genschman": Mission im gelben Pullunder

Die beiden ehemaligen FDP-Chefs Genscher und Westerwelle im Jahr 2009.
Die beiden ehemaligen FDP-Chefs Genscher und Westerwelle im Jahr 2009.(c) Imago
  • Drucken

Nachruf. Hans-Dietrich Genscher, Deutschlands „ewiger Außenminister“, ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Mit Helmut Schmidt und Helmut Kohl prägte der große Liberale mehr als nur eine Ära. .

Als vor zwei Wochen Guido Westerwelle, einer seiner Nachfolger, im Alter von nur 54 Jahren seinem Krebsleiden erlag, zeigte sich Hans-Dietrich Genscher tief erschüttert. „Ein herzensguter Mensch“, rief ihm sein Mentor, der langjährige FDP-Chef und Außenminister, nach. Er selbst, fügte er hinzu, fühle sich indessen zu schwach, um an dessen Begräbnis teilzunehmen. Zeitlebens war die Galionsfigur der Liberalen mit dem charakteristisch sächsischen Akzent seiner ostdeutschen Geburtsstadt Halle oft von Krankheit gezeichnet – von der Tuberkulose als 20-Jähriger bis zu mehreren Herzinfarkten.

Der große, alte Mann der FDP

Der 89-Jährige war beinahe bis zum Ende, bis zu seinem Tod in der Nacht zum Freitag in Bonn, politisch aktiv. Bis zuletzt trieben ihn die Flüchtlingskrise und die Verwerfungen der Geopolitik um. Bei jedem Parteitag der FDP, bei jedem Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart, bei jeder Bundestagswahl stand Genscher, obwohl schon mehr als zwei Jahrzehnte in Polit-Pension, als großer alter Mann der Freidemokraten, als Ratgeber und Analytiker im Rampenlicht.

Für Furore sorgte der gewiefte Diplomat zu Weihnachten 2013, als es ihm gelang, Wladimir Putin zu überzeugen, den Milliardär und Regimekritiker Michail Chodorkowskij nach zehnjähriger Lagerhaft nach Berlin ausreisen zu lassen. In Geheimmission war er zweimal im Kreml vorstellig geworden.

Meisterstück Wiedervereinigung

Von den Spuren des Kalten Kriegs und vom vergifteten Klima in Europa philosophierte der „ewige Außenminister“ im letzten Interview in der „Welt am Sonntag“ vor drei Monaten. „Diplomatie ist immer mühsam.“ Gemeinsam mit Willy Brandt, Helmut Schmidt, Franz Josef Stauß oder Helmut Kohl gehörte er zum politischen Inventar der Bundesrepublik, die Wiedervereinigung geriet ihm – zusammen mit Kanzler Kohl und Innenminister Wolfgang Schäuble – zum Meisterstück. Der gelbe Pullunder – in der Farbe der Liberalen – wurde zu seinem Markenzeichen.

Als er in einem Überraschungscoup 1992 nach 18-jähriger Amtszeit als Chefdiplomat zurücktrat, war seine Mission erfüllt. Genscher galt als Schlitzohr, und dies nicht allein wegen seiner Segelohren. Sein umtriebiger Stil trug ihm den Terminus „Genscherismus“ ein. Leutselig und mit entwaffnendem Witz charmierte er selbst den russischen Amtskollegen Andrei Gromyko. Wie Henry Kissinger verbrachte Genscher, so die Fama, mehr Zeit in der Luft als am Boden. Das Satiremagazin „Titanic“ verpasste ihm darob den Status des Superhelden und den Titel „Genschman“.

Dramatische Stunden bei Olympia 1972

Als Innenminister erlebte er dramatische Stunden und Tage, als ein PLO-Kommando bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München israelische Sportler als Geisel nahmen – er selbst hatte sich vergeblich als Geisel angeboten. Die Befreiungsaktion schlug jedoch fehl. Seinen Zenit erreichte er im September 1989, als er auf dem Balkon des Palais Lobkowitz, der deutschen Botschaft in Prag, 4500 auf dem Botschaftsareal untergebrachten DDR-Flüchtlingen die Freiheit verkündete. „Der bewegendste Moment meiner Karriere“, wie er sagte.

Mit den Idealen der Freiheit nahm es der Elder Statesman nicht immer so genau. Als Lobbyist machte der Polit-Rentner gemeinsame Sache mit Diktatoren wie dem Kasachen Nursultan Nasarbajew, auf Aserbaidschans verstorbenen Despoten Heydar Alijew sang er ein Loblied.
Intern war der FDP-Guru mitunter als machiavellistischer Drahtzieher verschrien, der seine FDP-Erben fallen ließ. Als er als Vizekanzler im Herbst 1982 die sozialliberale Koalition platzen ließ, um mit fliegenden Fahnen zur Union Helmut Kohls zu wechseln, spaltete er die Partei. Linksliberale Parteifreunde liefen zu den Sozialdemokraten über. Angesichts seines Ablebens hatten alle nur lobende Worte für das FDP-Denkmal übrig. Sie würdigten ihn als einen Politiker, der „Geschichte geschrieben hat“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Hans-Dietrich Genscher (1927 - 2016)
Außenpolitik

Deutscher Ex-Außenminister Genscher gestorben

Der 89-Jährige prägte die deutsche Außenpolitik zur Zeit von Wende und Wiedervereinigung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.