Kovač: „Kroatien braucht eine psychotherapeutische Sitzung“

Miro Kovač sieht Kroatien nicht in der Blockierer-Rolle eines möglichen EU-Beitritt Serbiens.
Miro Kovač sieht Kroatien nicht in der Blockierer-Rolle eines möglichen EU-Beitritt Serbiens.APA/AFP/dpa/BERND VON JUTRCZENKA
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Kroatiens Außenminister Miro Kovač reklamiert die Balkan-Konferenz in Wien als seine Idee, weist deutsche Kritik an der Schließung der Flüchtlingsroute zurück und empfiehlt seinem Land eine öffentliche Debatte zur Vergangenheitsbewältigung.

„Die Presse“: Was empfanden Sie, als Sie vom Freispruch des serbischen Nationalisten Vojislav Šešelj durch das Kriegsverbrechertribunal hörten?

Miro Kovač: Dieses Urteil der ersten Instanz ist natürlich ein Schock und eine Beleidigung für die Opfer und ihre Nachfahren.


Stellen Sie die Sinnhaftigkeit des Tribunals in Frage?

Mit dem Freispruch werden doch all jene weltweit aufgemuntert, die Kriegshetze betreiben, sich für ethnische Säuberungen einsetzen und aktiv eine Politik der gewaltsamen Verschiebung international anerkannter Staatsgrenzen vertreten. Das Tribunal wurde doch vor allem gegründet, um eine Grundlage für Aussöhnung und Vergangenheitsbewältigung zu schaffen. Ich sehe nicht, wie dieses Urteil dazu beiträgt, dass in Serbien, dessen Staatsführung in den 1990er-Jahren die Grundverantwortung für die vier Kriege im ehemaligen Jugoslawien trägt, ein vernünftiger Nachdenkprozess einsetzt.


Welche politischen Folgen kann der Freispruch haben?

Sollte es bei dem Urteil bleiben, würden die Grundwerte, auf denen die internationale Staatengemeinschaft beruht, relativiert.


Sie betonen, wie wichtig Aussöhnung ist. Die Nachbarschaftspolitik ist trotzdem oft rückwärtsgewandt. Warum droht Kroatien damit, das Justizkapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu blockieren?

Das ist doch Humbug. Kroatien droht überhaupt nicht. Kroatien will als EU-Mitglied nur helfen.


Serbien fasst das sicher nicht als Hilfe auf.

Ist es aber. Und lassen Sie uns bitte nicht mit zweierlei Maß messen. Schauen wir uns den bisherigen Verlauf der serbischen Beitrittsverhandlungen an, die offiziell im Januar 2014 begonnen haben. Die ersten beiden Kapitel wurden aber erst fast zwei Jahre später, Mitte Dezember 2015 eröffnet. Wissen Sie warum? Weil Deutschland und Großbritannien - übrigens zu Recht - darauf gepocht haben, dass erst einmal ein Dialog zwischen Serbien und Kosovo startet. Und niemand in der serbischen Führung beschwerte sich darüber. Wir brauchen eine gesunde und vernünftige Grundlage für eine Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Serbien. Ich wünsche mir ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Kroatien und Serbien, so wie es der Fall ist zwischen Deutschland und Frankreich. Nur so können wir Serbien in die europäische Familie holen.


Im Sommer haben Kroatien und Serbien in Wien vereinbart, den Beitrittsprozess nicht zu blockieren.

Wir blockieren nicht. Kroatien verlangt nur, dass Serbien vollständig mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeitet, dass es sich – im Sinne einer vernünftigen Nachbarschaftspolitik – nicht anmaßt, eine Art Mini-Gericht für Kriegsverbrechen für ganz Ex-Jugoslawien darzustellen und dass es staatvertraglich festgesetzte Rechte der Minderheiten – so auch der kroatischen - gewährleistet.


Wann haben Sie von Ihrem Amtskollegen Sebastian Kurz zum ersten Mal gehört, dass Österreich die Balkanroute für Flüchtlinge schließen will?

Ich habe meinem Kollegen Sebastian Kurz Anfang Februar in Amsterdam nach dem Gymnich-Treffen vorgeschlagen, gemeinsam mit Slowenien, Serbien und Mazedonien eine Koordination auf Ministerebene herzustellen. Die Durchführung dieser Konferenz haben wir unseren österreichischen Freunden überlassen.


Hat Deutschland bei Kroatien interveniert, die Balkanroute nicht zu schließen.

Nein. Wir haben die deutsche Bundeskanzlerin darauf hingewiesen, dass vergangenes Jahr über 600.000 Flüchtlinge und Migranten Kroatien durchquert haben. Es war im Interesse Kroatiens und Europas, diese Koordination mit Österreich, Slowenien, Serbien und Mazedonien herzustellen. Wir dürfen ruhig stolz darauf sein. Wir haben damit uns selbst, der EU und insbesondere auch Deutschland geholfen.


Trotzdem übte Merkel Kritik.

Deutschland hat verlegen Kritik geübt - und zugleich von der Schließung der Balkanroute profitiert. Wir haben zu einer massiven Verringerung der Flüchtlings- und Migrantenzahlen beigetragen. Und deshalb sind wir einer gesamteuropäischen Lösung endlich sehr nahe. Wobei es mir leid tut, dass in Griechenland jetzt Zehntausende Flüchtlinge gestrandet sind. Übrigens hatten wir in Kroatien in den 1990er Jahre zeitweise über eine halbe Million Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina. Das haben wir damals in Kroatien auch hinbekommen.


Wäre es klüger gewesen, Griechenland einzubinden?

Auf jeden Fall. Das wollten wir. Leider wurde auch die Nato viel zu spät eingebunden. Jetzt geht es darum, Griechenland zu helfen. Wenn wir die EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei nicht sichern, dann werden die Binnengrenzen in Europa hochgezogen.


Das passiert ja bereits.

Ja, aber es ist alles noch ertragbar.


Machen Sie sich Sorgen über die Situation in Griechenland?

Europa hat drei große Herausforderungen: die Schuldenkrise, die Migrantenkrise und das Referendum in Großbritannien. Zwei davon betreffen Griechenland direkt.


Agiert die EU zu langsam in diesen Krisensituationen?

Sie handelt nicht schnell genug. Es ist jedoch auch nicht einfach mit 28 Mitgliedstaaten, über Nacht gesamteuropäische Ansätze zu entwickeln und diese dann auch durchzusetzen. Aber gerade anhand der Migrantenkrise stellen wir fest, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind. Ich bin langfristig Optimist, was die EU anbelangt.


Das sieht auch nicht jedes Mitgliedsland so.

Aber es ist eine Tatsache. Wobei folgende Regel gilt: Alle Mitgliedstaaten, seien sie größer oder kleiner, sind verantwortlich für die Zukunft der EU, aber die größeren Länder haben - logischerweise - mehr Verantwortung als die kleineren.

Ein Teil des Abkommens mit der Türkei besteht im Versprechen der EU, Flüchtlinge auch direkt aus der Türkei zu übernehmen. Wie viele wird Kroatien holen?

Wir haben zugesagt, knapp 500 Flüchtlinge direkt aus der Türkei temporär in Kroatien aufzunehmen. Dabei bleibt es. Die Frage ist nur, ob sie in Kroatien bleiben wollen, die meisten wollen und gehen doch nach Deutschland.


Fühlen Sie sich wohl in einer Regierung mit jemandem wie Kulturminister Zlatko Hasanbegović, dem das Wiesenthal-Zentrum vorwirft, Verbrechen des Ustascha-Regimes (1941 bis 1945; Anm.) zu verharmlosen und Antifaschisten zu verachten?

Die Vergangenheitsbewältigung in Kroatien ist für den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des Kommunismus noch strukturiert durchzuführen. Das darf aber nicht auf Kosten der Zukunft passieren. Wir müssen uns im Lande vor allem um die Wirtschaft und um unsere jungen Leute kümmern. Allein im letzten Jahr sind 50.000 Kroaten nach Deutschland gezogen. Das entspräche im Vergleich einer Auswanderung von etwa einer Million Deutschen pro Jahr nur in ein Land, zum Beispiel in die USA.


Kroatien aber ist zu sehr in der Vergangenheit verhaftet.

Genau. Deshalb müssen wir endlich unsere totalitäre Vergangenheit offen ausdiskutieren. Ich bin überzeugt, Kroatien braucht eine gut durchdachte, strukturierte, öffentliche „psychotherapeutische Sitzung“, in der sich alle bei uns im Lande zu unserer Vergangenheit äußern können, die das wollen. Nach einer solchen strukturierten Debatte wird es uns auch besser gehen. Dann können wir uns endlich leichter der Gestaltung unserer Zukunft widmen. Darüber habe ich übrigens auch mit Roland Jahn (Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStU; Anm.) Anfang Februar in Berlin gesprochen. Alle Länder in Mittelosteuropa, die sich vernünftig mit ihrer totalitären Vergangenheit auseinandergesetzt haben, stehen heute wirtschaftlich besser da. Dazu gehört auch die - leider chaotische und ungerechte - Debatte um unseren Kulturminister, die sich mittlerweile gelegt hat. Wenn wir Extremisten und Populisten jeglicher Couleur den Wind aus den Segeln nehmen wollen, und das wollen wir, müssen wir offene, demokratische Debatten führen können, auch in Kroatien.


Zu Ihrer öffentlichen psychotherapeutischen Sitzung können Sie gleich auch Nachbarn einladen.

Warum nicht? Zuerst müssen wir es aber vernünftig und ordentlich auf nationaler Ebene machen. Stufenweise könnten wir dann dazu auch die Nachbarstaaten einladen, um über unsere gemeinsame Vergangenheit zu sprechen.

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