Grausamer Mord löst Staatskrise zwischen Rom und Kairo aus

(c) APA/AFP/ANDREAS SOLARO
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Italien ruft wegen eines zu Tode gefolterten Doktoranden seinen Botschafter zurück und erwägt Sanktionen gegen Ägypten.

Kairo. Der Konflikt zwischen Italien und Ägypten wegen des in Kairo massakrierten Doktoranden Giulio Regeni eskaliert zu einer bisher beispiellosen Staatskrise zwischen dem EU-Land und der Nation am Nil. Rom beorderte am Wochenende seinen Botschafter aus Kairo zurück, nachdem sich eine hochrangige ägyptische Delegation bei einem Krisentreffen erneut weigerte, fundamentales Beweismaterial auszuhändigen.

Zurückgehalten werden vor allem die Handydaten des zu Tode Gefolterten sowie Videoaufnahmen aus seiner Wohnstraße im Kairoer Stadtteil Dokki und nahe der Metrostation Behoos, wo er zuletzt gesehen wurde. Es müsse sichergestellt werden, dass die Wahrheit über den „barbarischen Mord“ an Giulio Regeni ans Licht komme, teilte das italienische Außenministerium mit. Premier Matteo Renzi erklärte, das sei man der Familie des Toten und der Würde der eigenen Nation schuldig.

Westliche Diplomaten und ägyptische Menschenrechtler vermuten, dass ägyptische Geheimdienstler den am 25. Jänner verschwundenen Nachwuchswissenschaftler zu Tode quälten und das Regime nun mit allen Mitteln versucht, den Fall zu vertuschen.

Bestialisch gefoltert

Laut Obduktionsbericht wurde der junge Mann, dessen übel zugerichtete Leiche neun Tage später halbnackt in einem Autobahngraben nahe Kairo gefunden wurde, bestialisch misshandelt. Die Mörder schnitten ihm Teile der Ohren ab, drückten Zigaretten auf seiner Haut aus, rissen ihm Finger- und Fußnägel heraus, traktierten seine Genitalien mit Elektroschocks und brachen ihm Rippen, Oberarme und Schultern. Italiens Bevölkerung reagierte schockiert, Innenminister Angelino Alfano sprach von „unmenschlicher und animalischer Gewalt“.

Bei der Ermittlung der Täter fühlt sich Rom seit Wochen durch das Regime von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi an der Nase herumgeführt. Bisher präsentierte die ägyptische Seite sechs verschiedene Versionen, angefangen von einem Autounfall über eine Terrortat bis zu einem Eifersuchtsdrama im Homosexuellenmilieu.

Das Fass zum Überlaufen brachte die letzte Farce Kairos kurz vor Ostern, als das Innenministerium erklärte, man habe als Täter vier Mitglieder einer Mafiabande ermittelt und erschossen, die – als Polizisten verkleidet – auf die Entführung von Ausländern spezialisiert gewesen seien. In der Wohnung der Schwester des angeblichen Chefkriminellen seien persönliche Gegenstände von Giulio Regeni sichergestellt worden. Empört drohten italienische Spitzenpolitiker mit harten Konsequenzen, sollte diese Vernebelung so weitergehen und das Schicksal des 28-Jährigen nicht vollständig aufgeklärt werden. Italien erwägt unter anderem, Ägypten offiziell zu einem unsicheren Reiseland zu erklären, seine Wirtschaftsbeziehungen einzufrieren sowie EU-Partner zu einer schärferen Gangart zu drängen.

Brisante Enthüllungen

Rom ist neben Berlin der wichtigste Handelspartner für die 90-Millionen-Nation am Nil. Premier Renzi lud den Ex-Feldmarschall im November 2014 als erster Europäer zu einem Staatsbesuch ein und machte ihn so auf dem diplomatischen Parkett des alten Kontinents wieder hoffähig. Im Gegenzug bekam der italienische Energiekonzern ENI die Lizenz, das gigantische Gasfeld Zohr vor der ägyptischen Küste auszubeuten.

Zusätzliche Brisanz bekommt der Fall für das Sisi-Regime auch durch ein anonymes Mail, das aus offenbar gut informierten Sicherheitskreisen an die italienische Zeitung „Il Repubblica“ ging. Darin behauptete der Unbekannte, der auch eine Reihe von internen Detailkenntnissen des Falles preisgab, Präsident al-Sisi und Innenminister Magdy Abdel Ghaffar seien persönlich in den Fall verwickelt. Beide hätten sich in einem Krisentreffen mit den Spitzen von Staatssicherheit und Militärgeheimdienst darauf verständigt, den Fall als normale Mordtat zu vertuschen.

Selbst absolut regimetreue Medien melden inzwischen Zweifel an der offiziellen Lesart an. Ägyptische Regierungsmitglieder hätten wenig Verständnis für „den Wert von Wahrheit“, kritisierte der Chefredakteur der staatlichen Zeitung „Al Ahram“ auf der Titelseite. Die ganze Situation bringe „den ägyptischen Staat in eine peinliche und extrem schwierige Zwangslage“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2016)

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