Der türkische Präsident Erdoğan stellte Strafantrag wegen Beleidigung gegen den Satiriker Jan Böhmermann. Die deutsche Regierung weiß sichtlich nicht recht, wie sie verfahren soll.
Berlin. Der Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches hatte schon eine ziemliche Staubschicht angesetzt. Doch Jan Böhmermanns Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, und die türkische Reaktion darauf zogen die Bestimmung über die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts aus dem Regal des halb toten Rechts wieder schwungvoll heraus. Mitten in der aufgewirbelten Wolke sucht die deutsche Regierung nun nach ein wenig Orientierung.
„Mit den rechtlichen Fragen, die zu prüfen sind, waren wir lange nicht befasst“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Vertreter von Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Justizministerium begannen mit der Prüfung, wie man dabei vorgehen soll. Eine Prüfung, der man nicht vorgreifen wolle, sagte Seibert. Was kein Wunder ist, immerhin ist es eine heikle Materie. Voraussetzung für die Strafverfolgung ist nämlich einerseits ein Verlangen der ausländischen Regierung danach – das hatte die Türkei mit einer Verbalnote am Sonntag erfüllt. Montagabend ging zudem ein Strafantrag von Erdoğan persönlich bei der Staatsanwaltschaft Mainz ein. Andererseits muss die deutsche Regierung dann die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen. Das wiederum ist rechtlich wie politisch heikel.
Dass etwa der unabhängigen Justiz eine Ermächtigung der Regierung gegeben wird – bedeutet dies, dass sie den Fall ohne sie gar nicht bearbeiten könnte? Und wäre diese Ermächtigung nicht auch schon eine Art Vorentscheidung? Und dürfte die Staatsanwaltschaft, die den Vorfall nach mehreren Anzeigen aus der Bevölkerung bereits prüft, auch ohne diese Ermächtigung arbeiten? Philip Scholz, Sprecher des Justizministeriums, verwies auf Beratungen der zuständigen Ministerialbeamten. Bis zum Ergebnis soll es, wie es Regierungssprecher Seibert formulierte, „ein paar Tage, nicht Wochen“ dauern.
Auf der politischen Seite ist es ebenso ein Balanceakt – eine Ablehnung des türkischen Wunsches könnte für eine diplomatische Verstimmung sorgen; kommt man dem Begehr nach, wäre ein Konflikt wegen Beschneidung der Meinungsfreiheit programmiert. Immerhin, hier scheint sich die Bundesregierung nach anfänglich eher zögerlichem Verhalten eher der Meinungsfreiheit zu verpflichten.
So betonte Seibert, dass der Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundeskanzlerin das höchste Gut sei, das „weder nach innen noch nach außen verhandelbar“ sei. Und das ganz abgesehen davon, ob Angela Merkel einen Satirebeitrag für „gelungen, geschmackvoll oder geschmacklos hält“. Das sagte er auch explizit, um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass wegen der Flüchtlingsfrage die Meinungsfreiheit bei ihr nicht mehr die höchste Priorität habe. In der Vorwoche hatte Merkel in einem Telefonat mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoğlu noch davon gesprochen, dass Böhmermanns Beitrag „bewusst verletzend“ gewesen sei. Seibert betonte am Montag aber, dass es keine Entschuldigung der Kanzlerin gegeben habe – eine solche hatten Medien nach der Stellungnahme vergangene Woche gesehen.
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
In der Türkei gehen die Wogen weiter hoch. Vize-Premier Numan Kurtulmus warf Böhmermann am Montag vor, mit dem Gedicht ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen zu haben. Mitten in den politischen Balanceakt Berlins polterte der nächste potenzielle Aufreger. Komiker Didi Hallervorden veröffentlichte im Internet ein Lied, in dem er den türkischen Präsidenten erneut provoziert: „Erdoğan, Erdoğan, zeig mich bitte auch mal an.“ Heikel ist aber vor allem eine Stelle: „Ich sing einfach, was du bist, ein Terrorist, der auf freien Geist nur scheißt.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2016)