ZDF-Gutachten: Böhmermanns "Schmähkritik" nicht strafbar

Boehmermann, host of the late-night ´Neo Magazin Royale´ on the public ZDF channel is pictured during a TV show in Hamburg
Boehmermann, host of the late-night ´Neo Magazin Royale´ on the public ZDF channel is pictured during a TV show in Hamburg(c) REUTERS (Morris MacMatzen / Reuters)
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Nach Einschätzung einer vom ZDF beauftragten Kanzlei ist der Beitrag über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan rechtlich zulässig. Im ZDF gibt es Widerstand gegen die Löschung des Videos aus der Mediathek.

Jan Böhmermanns umstrittenes "Schmähkritik"-Gedicht hat nach Einschätzung einer vom ZDF beauftragten Kanzlei die Grenzen der Strafbarkeit nicht überschritten. Der Beitrag über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei rechtlich zulässig gewesen, hieß es in einer am Donnerstag von dem Sender in Mainz veröffentlichten Stellungnahme.

Diese stütze sich auf ein Expertengutachten der Kanzlei und sei dem ZDF von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Mainz eingeräumt worden. Die im Grundgesetz garantierte Satirefreiheit umfasse gerade im Zusammenhang mit Angelegenheiten von öffentlichem Interesse auch den Einsatz grober Stilmittel. Das gelte unabhängig davon, ob sie dem persönlichen oder allgemeinen Geschmack entsprechen. Es liege im Wesen der Satire, Emotionen und Reaktionen beim Publikum auszulösen, auf ein Thema aufmerksam zu machen und Kritik zu üben.

Das Schmähgedicht habe nicht darauf abgezielt, die Ehre Erdogans zu verletzen. Es sei um eine kritische Auseinandersetzung mit der Debatte um den vorangegangenen Beitrag der Sendung "extra3" und Erdogans Reaktion darauf gegangen.

Die Löschung der umstrittenen Satire aus der ZDF-Mediathek stößt innerhalb des Senders auf Widerstand. "Wir würden es begrüßen, wenn die 'Schmähkritik' vom Giftschrank wieder in die Mediathek gestellt wird. Als Dokument der Zeitgeschichte", heißt es laut "Spiegel Online" in einem Schreiben des Redakteursausschusses des Senders.

"Vorauseilender Gehorsam" der ZDF-Führung?

"Eine ZDF-Sendung bewegt Regierungschefs und ersetzt ein juristisches Proseminar. Programmauftrag erfüllt", heißt es in dem Brief. Der Preis dafür sei allerdings eine ZDF-Führung, "der teilweise vorauseilender Gehorsam nachgesagt wird" und Redakteure, die abgenommene Filme aus der Mediathek nehmen müssten. "War es das wirklich wert?"

Doch das ZDF will dieser Aufforderung nicht nachkommen. Das Gedicht entspreche nicht den Qualitätsansprüchen und Regularien des ZDF, teilte der Sender mit. Das sei jedoch von einer strafrechtlichen Bewertung zu trennen. Der Beitrag solle weiterhin nicht wieder in die Mediathek kommen, sagte ein ZDF-Sprecher.

Böhmermann unter Polizeischutz

Böhmermann hatte Erdogan in einem Gedicht, das er als "Schmähkritik" angekündigt und in den Kontext einer Diskussion über die Grenzen von Satire und Meinungsfreiheit gestellt hatte, mit Worten unter der Gürtellinie angegriffen. Das ZDF strich den Ende März in der Show "Neo Magazin Royale" gesendeten Beitrag aus dem Archiv.

Die Satire schlug politisch hohe Wellen, Böhmermann drohen strafrechtliche Konsequenzen. Der Moderator steht derzeit unter Polizeischutz, weil er offenbar von Anhängern Erdogans bedroht wurde. Am Dienstag sagte er seine nächste, für Donnerstag geplante Sendung ab. 

Türkischer Minister: Pressefreiheit nicht eingeschränkt

Durch den Fall wurde auch Kritik am türkischen Verständnis von Pressefreiheit laut. Der türkische Europaminister Volkan Bozkir hat das Vorgehen seiner Regierung am Donnerstag in Wien verteidigt. Eine Beschränkung der Pressefreiheit in der Türkei bestreitet er. "In der Türkei ist die Pressefreiheit nicht eingeschränkt", sagte Bozkir bei einem gemeinsamen Medienauftritt mit Außenminister Sebastian Kurz.

Bozkir verwies auf "7500 Zeitungen, 285 TV-Kanäle (...) und 46 Millionen Internetnutzer" in der Türkei. "Wir sind stolz darauf, die Freiheit der Meinung und der Presse in der Türkei zu haben", sagte der Europaminister. Im Gegensatz zu Frankreich habe man auch angesichts von Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit nicht Teile der Europäische Menschenrechtskonvention suspendiert.

Im Bezug auf die juristischen Bemühungen gegen Böhmermann betonte Bozkir: "Ich denke es gibt einen Unterschied zwischen der Freiheit des totalen Ausdrucks und dem Beleidigen, Demütigen von Menschen." Es liege nun aber an der deutschen Regierung und Justiz, über den Fall zu entscheiden.

Die Bundesregierung prüft derzeit ein Begehren der Türkei, den Moderator wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zur Verantwortung zu ziehen. Die Beratungen darüber dauerten noch an, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag.

Erdogan stellte auch persönlich Strafanzeige

Erdogan stellte zusätzlich auch persönlich Strafanzeige wegen Beleidigung. Auf der zivilrechtlichen Seite weigert sich Böhmermann, eine Unterlassungserklärung abzugeben und die Äußerungen nicht zu wiederholen.

"Strafe, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen"

Im "ZDF Heute Magazin" interviewte am Mittwochabend Moderator Claus Kleber Erdogans Anwalt Hubertus von Sprenger. Der türkische Präsident "möchte eben, dass er (Böhmermann, Anm.) bestraft wird und davon Abstand nimmt, so etwas noch einmal zu tun", sagte der Anwalt über die Gründe Erdogans, gegen den Satiriker  vorzugehen.

Ob der türkische Präsident Schadensersatz fordern werde, stünde noch nicht fest. Welche Strafe nach seiner Erfahrung als Medienanwalt auf Böhmermann warte, wollte Kleber wissen. Böhmermann werde "keine erhebliche Strafe bekommen", erwartet Von Sprenger. "Aber es wird eine Strafe sein, die erforderlich ist, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen: Satire zu machen und nicht mehr plumpe Beleidigung."

>> Bericht im "Spiegel"

(APA/AFP)

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