„Unsere Rolle soll es sein, nur zu gehorchen“

A migrant child stands next to a metal fence at the Moria refugee camp on the Greek island of Lesbos
A migrant child stands next to a metal fence at the Moria refugee camp on the Greek island of Lesbos(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Am 1. Juli übernimmt die Slowakei den EU-Vorsitz. Der zuständige Europa-Staatssekretär, Ivan Korčok, erklärt, warum er eine Quotenaufteilung von Flüchtlingen ablehnt, TTIP light keine Chance hat und die Eurokrise anhält.

Die Presse: 375 Millionen Euro. So viel würde es Ihr Land kosten, wenn die Slowakei auch künftig 1500 Flüchtlinge nach Quote aufnehmen müsste und der Kommissionsvorschlag einer Strafe von 250.000 Euro pro abgelehntem Quotenflüchtling umgesetzt würde. Haben Sie das Geld schon budgetiert?

Ivan Korčok: Nein, haben wir nicht. Wir werden als Vorsitzland einen Kompromiss suchen und als Mittler fungieren.

Man würde erwarten, dass die Slowakei diesen Vorschlag nach Strafen rundum ablehnt, nachdem Ihr Land ja schon gegen Quoten ohne Strafen geklagt hat.

Der Fokus sollte auf den Schutz der EU-Außengrenze gelegt werden. Schengen ist in Gefahr. Es braucht eine strategische Vision, eine langfristig tragbare Migrations- und Asylpolitik, einen effektiven Schutz der Außengrenzen und Kooperation mit Drittländern bei der Rückführung. Wir unterstützen afrikanische Länder finanziell, aber auf der anderen Seite der Gleichung muss stehen, dass diese Länder in Migrationsfragen kooperieren.

Warum tut sich die Slowakei mit der Aufnahme von Flüchtlingen so schwer?

Unsere Gesellschaft ist darauf noch nicht vorbereitet, hat aus historischen Gründen kaum Erfahrung mit Migration. Zweitens hatte die Slowakei für ihren EU- und Eurobeitritt etliche Auflagen zu erfüllen und Gesetze anzupassen, und jetzt sehen die Menschen, dass die Regeln plötzlich nicht mehr gelten, zum Beispiel an der EU-Außengrenze.

Es gibt den Vorwurf, dass die Slowakei über EU-Gelder stark profitiert hat und nun Solidarität verweigert.

Wir haben in der Migrationskrise solidarische Vorschläge gemacht, aber sie wurden abgelehnt. Wir hörten stattdessen: Wenn ihr keine Flüchtlinge nach der Quote aufnehmt, seid ihr keine guten Europäer. Ich habe den Eindruck, unsere Rolle soll es sein, nur zu folgen und zu gehorchen.

Premier Robert Fico wird vorgeworfen, Fremdenfeindlichkeit zu befeuern, wenn er etwa sagt: „Alle Muslime im Land werden überwacht.“

Ich kenne das Zitat nicht. Aber wir haben in der Flüchtlingskrise anfangs viel zu wenig über den Sicherheitsaspekt geredet und uns zu stark auf die Verteilung der Asylsuchenden konzentriert.

Sie haben gesagt, Sie wollen mit Ihrer Ratspräsidentschaft die Fragmentierung Europas überwinden. Der Slowakei wird vorgeworfen, die Ost-West-Teilung mitverursacht zu haben, etwa als Premier Fico der EU „rituellen Selbstmord“ vorwarf.

Wir sehen keine Ost-West-Teilung. Wir halten diese Darstellung nicht nur für unfair, sondern auch für sehr gefährlich. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die EU-Mitgliedschaft war für die Slowakei ein riesiger politischer und wirtschaftlicher Erfolg, wir sind sehr proeuropäisch. Aber wir dachten, dass wir einer Gemeinschaft der Stabilität beitreten. Doch in diesen zwölf Jahren gab es nur Krisen.

Apropos Krisen: Bereiten Sie sich schon auf die Abwicklung eines möglichen EU-Austritts Großbritanniens während der slowakischen EU-Präsidentschaft vor?

Im Fall eines Neins zur EU-Mitgliedschaft würde es zunächst ein EU-Ratstreffen geben, zwei Tage vor unserer Präsidentschaft. Deshalb warten wir auch mit unserem Programm zu. Es gibt keinen konkreten Plan für einen Brexit. Denn es wäre an Großbritannien, dann die nächsten Schritte vorzuschlagen. Aber wir hoffen, dass Großbritannien in der EU bleibt.

Auch die Eurokrise ist noch nicht ausgestanden. Warum eigentlich nicht?

Die gefährlichste Entwicklung der EU ist eine gewisse Bequemlichkeit. Wir sehen zu, wie die Probleme größer und größer werden, und erst dann handeln wir. Es gab zwar wichtige Schritte vorwärts – aber erst, als die Existenz der Eurozone unmittelbar bedroht war. Wir sind Getriebene der Umstände. Wir haben kein System, wie mit asymmetrischen Krisen umzugehen ist. Da liegt noch sehr viel Arbeit vor uns. Es braucht weitere fiskalische Integration, mehr wirtschaftliche Koordination.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass während Ihrer Präsidentschaft eine Einigung über TTIP erzielt wird?

Ich werde hier nicht wetten. Aber die Präsidentschaft von Barack Obama, der ein starker TTIP-Unterstützer ist, geht ins Finale. Es gibt also ein politisches Momentum. Zugleich haben wir Europäer geschlossen Felder ausgemacht, in denen sich die USA noch bewegen muss. Ich vertraue der EU-Kommission, dass sie eine Einigung verhandeln wird, die auch Chancen auf Ratifizierung in den Mitgliedsländern hat. Aber weder die EU noch die USA, das wurde mir in Washington versichert, wollen ein TTIP light.

Definitiv in Ihre Ratspräsidentschaft fällt auch die Entscheidung über eine Verlängerung der Russland-Sanktionen. Doch die Sanktionsfront bröckelt.

Wenn die Minsk-Vereinbarungen (zur Beilegung des Ukraine-Konflikts, Anm.) erfüllt sind, laufen die Sanktionen aus – wenn nicht, dann werden sie verlängert. Derzeit sind die Minsk-Vereinbarungen nicht völlig umgesetzt.

ZUR PERSON

Ivan Korčok, geboren am 4. April 1964 in Banská Bystrica, ist Europa-Staatssekretär im slowakischen Außenministerium und der Regierungsbevollmächtigte für die EU-Ratspräsidentschaft, die sein Land am 1. Juli 2016 für sechs Monate übernimmt. Der Diplomat leitete unter anderem die Sicherheitssektion im slowakischen Außenministerium und koordinierte die Nato-Beitrittsverhandlungen, bevor er von 2005 bis 2009 slowakischer Botschafter in Deutschland war. Danach leitete er unter anderem die permanente Vertretung der Slowakei in der EU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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