US-Kulturkrieg um das stille Örtchen

Manche Lokalbetreiber nehmen den Transsexuellenstreit mit Humor.
Manche Lokalbetreiber nehmen den Transsexuellenstreit mit Humor.Reuters
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Demokraten und Republikaner eröffnen mit der Transsexualität eine neue ideologische Front. Es geht um Milliarden und Macht.

Loretta Lynch wählte einen drastischen Vergleich, als sie am Montag vor einer Woche in Washington vor die Kameras und Mikrofone trat. „Es ist noch nicht so lange her, dass Staaten, einschließlich North Carolina, Tafeln über Toiletten, Trinkbrunnen und öffentlichen Einrichtungen hatten, die Menschen bloß aufgrund eines persönlichen Merkmals draußen hielten“, sagte die US-Justizministerin. Die Klage ihrer Behörde gegen ein neues Gesetz von North Carolina, demzufolge Transsexuelle nur jene öffentlichen Toiletten aufsuchen dürften, die dem Geschlecht auf ihrer Geburtsurkunde entsprächen, stehe insofern in der Tradition der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und des Kampfes gegen die Unterdrückung der Schwarzen.

An der exotisch anmutenden Frage, welche Bedürfnisanstalten transsexuelle Menschen aufsuchen dürfen, hat sich in den vergangenen Wochen ein zusehends erbitterter Streit zwischen einer Gruppe republikanisch regierter US-Teilstaaten und der Bundesregierung unter Präsident Barack Obama entfacht.

Die Frontlinie in diesem neuesten Gefecht der „Culture Wars“, die in den 1960er-Jahren anlässlich der schrittweisen Emanzipation der Schwarzen, Frauen und Homosexuellen begannen, die Linke und die Rechte anhand von Fragen der persönlichen Lebensführung zu trennen, ist klar gezogen.

Auf der einen Seite steht, stellvertretend für ein halbes Dutzend anderer Teilstaaten, der republikanische Gouverneur von North Carolina, Pat McCrory. Unter seiner Führung haben die beiden mehrheitlich republikanischen Kammern des Gesetzgebers dieses Südstaates ein Gesetz erlassen, das Schulen und anderen öffentlichen Gebäudebetreibern die Einrichtung von klar nach Geschlecht getrennten Toiletten und Umkleidekabinen vorschreibt und verfügt, dass die Geburtsurkunde unumstößlich festschreibt, ob man Mann oder Frau ist. Zudem untersagt es dieses Gesetz Städten und Kommunen in North Carolina, gegen die Diskriminierung von Transsexuellen vorzugehen.

Anlassgesetzgebung. Das war ein recht klarer Fall von Anlassgesetzgebung, der sich auf eine entsprechende Verordnung der seit vorigem Jahr demokratisch regierten Stadt Charlotte bezog, die es Transsexuellen erlaubt hatte, jene Bedürfnisanstalten aufzusuchen, in denen sie sich sicherer fühlen.

Auf der anderen Seite des Konflikts haben das US-Justiz- und das Bildungsministerium (abgesehen von der eingangs erwähnten Klage) eines der schwersten Geschütze in Stellung gebracht, die es bei Streitigkeiten zwischen Washington und den Gouverneuren gibt: die Streichung milliardenschwerer Steuersubventionen für die örtlichen Bildungssysteme. Die Obama-Regierung beruft sich auf eine im Jahr 1972 unter Präsident Richard Nixon erlassene Vorschrift namens Titel IX, die jegliche Diskriminierung auf Grundlage des Geschlechts mit dem Entzug von Bundessubventionen sanktioniert. Title IX diente dem Weißen Haus bereits im April 2011 als Grundlage dafür, Amerikas Hochschulen zu einem engagierteren Vorgehen gegen Vergewaltigung und sonstigen sexuellen Missbrauch anzuspornen.

Wirtschaftlicher Schaden. Damals wie heute droht der Verlust enormer Summen. North Carolina ist, wie viele republikanisch dominierte Südstaaten, stark von Steuersubventionen abhängig. Im jüngsten Haushaltsjahr erhielt der Staat rund 4,3 Milliarden Dollar (3,8 Milliarden Euro) an Bildungszuschüssen aus dem US-Budget. Ein Drittel des Gesamtbudgets von North Carolina kommt aus Washington.

McCrorys Vorgehen gegen die freie Toilettenwahl von Transsexuellen hat seinem Staat schon wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Die Finanzunternehmen PayPal und Deutsche Bank haben als Reaktion ihre Expansionspläne auf Eis gelegt, die Hunderte Arbeitsplätze gebracht hätten.

Hinter all dem steht der Umstand, dass North Carolina bei der Präsidenten- und Kongresswahl am 8. November ein Schlüsselstaat sein wird. 2008 gewann hier Barack Obama knapp, vier Jahre später Mitt Romney. In Romneys Windschatten kam auch Gouverneur McCrory in sein Amt. Er muss nun um seine Wiederwahl zittern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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