Iran: Khatami kritisiert „Verfassungsbruch“

(c) AP (Hossein Salehi Ara)
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Die Kritik am Verfahren gegen Irans Protestteilnehmer wird immer schärfer. Expräsident Khatami spricht von erpressten Geständnissen, die nicht gültig seien.

ISTANBUL/Teheran. Seit dem Wochenende stehen vor einem Revolutionsgericht in Teheran über 100 Dissidenten vor Gericht, denen vorgeworfen wird, die Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentenwahl im Iran organisiert und an Unruhen teilgenommen zu haben. Unter den Angeklagten befindet sich eine Reihe bekannter iranischer Politiker.

Die zweifelhaften Geständnisse und die gesamte Form des Schauprozesses hat nicht nur international Aufsehen erregt, sondern auch den Iran selbst weiter gespalten. Der frühere Präsident Mohammed Khatami kritisierte am Sonntag das Revolutionsgericht scharf. Es stehe im Widerspruch zur Verfassung und zu geltenden Bürgerrechten. Das Gericht stütze sich auf „Geständnisse, die unter gewissen Umständen erreicht wurden, die nicht gültig sind“.

Der unterlegene Präsidentschaftskandidat der Opposition, Mir Hussein Moussavi legte noch nach: Die Geständnisse seien durch „mittelalterliche Foltermethoden“ zustande gekommen. Überraschend trat am Wochenende auch der Medienberater von Präsident Ahmadinejad, Ali Akbar Javanfekr, zurück.

Im Mittelpunkt des Verfahrens steht das Geständnis des ehemaligen Vizepräsidenten und Mitglieds der Vereinigung der kämpfenden Geistlichen, Mohammed Ali Abtahi. Die Nachrichtenagentur Fars berichtete, Abtahi habe ausgesagt: „Ich möchte allen Freunden sagen, dass es keinen Betrug bei der Wahl gab, das war nur eine Lüge, um die herum die Proteste aufgebaut werden sollten.“

Nach Abtahis Aussage hätten der unterlegene Kandidat Moussavi und die ehemaligen Präsidenten Mohammed Khatami und Ali Akbar Hashemi Rafsanjani einen Pakt geschlossen, um die Wahl zu diskreditieren. „Ich glaube, die Reformer haben sich zwei Jahre auf diese Wahl vorbereitet, um die Macht des Hohen Führers (gemeint ist Ali Khamenei, Anm.) zu beschränken“, wird Abtahi zitiert.

Geständnis unter Tränen

Schon vor der Verhandlung war im staatlichen Fernsehen ein Video zu sehen, auf dem Abtahi unter Tränen Geständnisse machte. Abtahi war sowohl ein Vertrauter Khatamis wie auch des unterlegenen Reformkandidaten Mehdi Karroubi. Außerdem war er einer der am meisten beachteten Blogger im Lande. Unmittelbar nach der Wahl erhob Abtahi den Vorwurf des Wahlbetrugs. Es könne nicht sein, so Abtahi nach der Wahl, dass Karroubi mehr registrierte Wahlhelfer als Wählerstimmen gehabt habe. Zwei Tage später wurde er als einer der Ersten festgenommen.

Unabhängige Medien waren beim Verfahren nicht zugelassen, Fernsehaufnahmen wurden von der Agentur Fars gemacht, die der Revolutionsgarde untersteht. Die über hundert Angeklagten, eine genaue Zahl ist nicht bekannt, konnten nicht von Anwälten betreut werden. Der Staatsanwalt sprach in seiner Anklageschrift von Straftaten gegen die nationale Sicherheit, die auch mit der Todesstrafe geahndet werden können.

Mindestens zwei festgenommene Demonstranten, einer davon der 25-jährige Mohsen Rouholamini sind wenige Tage nach ihrer Festnahme im Gefängnis gestorben. Die offizielle Todesursache, Meningitis, wird bezweifelt.

Unter den Angeklagten befindet sich auch der ehemalige Industrieminister und Vizesprecher des Parlaments Behzad Nabavi. Er gehört dem Zentralrat der Organisation der Mudjaheddin (religiösen Kämpfer) der Islamischen Revolution an.

Virtuell auf der Anklagebank saßen aber auch viele weitere prominente Reformer wie die ehemaligen Präsidenten Khatami und Rafsanjani, die unterlegenen Kandidaten Moussavi und Karroubi und die Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie alle wurden in der Anklageschrift als Teilhaber eines Komplotts gegen die Islamische Republik genannt.
Leitartikel von Wieland Schneider, S. 23

AUF EINEN BLICK

Schauprozess. Die iranische Führung hält einen Schauprozess gegen 100 Oppositionspolitiker ab, die zu Massenprotesten aufgerufen oder an diesen teilgenommen haben. Die Anklage stützt sich auf ein „Geständnis“ des ehemaligen Vizepräsidenten Ali Abtahi, der die Vorwürfe des Wahlbetrugs zurückgenommen und von einem Komplott der Expräsidenten Rafsanjani, Moussavi und Khatami gegen Revolutionsführer Ali Khamenei gesprochen hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2009)

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