Ein Hauch von 1989: "Hier ist das Polen der freien Menschen"

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POLAND-POLITICS-DEMO(c) APA/AFP/JANEK SKARZYNSKI (JANEK SKARZYNSKI)
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Am Jahrestag der historischen Wahl von 1989 erinnerten die Polen an Triumph über Kommunismus und demonstrierten zugleich gegen die Politik der nationalkonservativen Regierung.

Ein wenig war auf dem Warschauer Verfassungsplatz in der Abendbrise der Wind des Wandels im Jahr 1989 zu spüren. Adam Michnik, Chefredakteur der linksliberalen "Gazeta Wyborcza" stimmte die polnische Version der amerikanischen Bürgerrechtshymne "We shall overcome" an. Tausende schwenkten polnische und Europafahnen.

"Höre, Jarek - hier ist das Polen freier Menschen!" rief der frühere Bürgerrechtler Wladyslaw Frasyniuk vor mehreren zehntausend jubelnder Menschen. Viele hatten Papierschmetterlinge in den Nationalfarben weiß und rot gebastelt, trugen sie als Haarspange oder Brosche - Schmetterlinge der Freiheit, überall.

Kaczynski: "Haben es mit Rebellion zu tun"

Gemeint war der nationalkonservative Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Chef der mit absoluter Mehrheit regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Auf einer Parteiveranstaltung in Warschau hatte Kaczynski am Samstag gesagt: "Ein Rechtsstaat muss kein demokratischer Staat sein." Den Menschen, die seit Monaten auf den Straßen immer wieder gegen umstrittene Gesetze der Regierung protestieren, warf er vor, einen Aufstand gegen die Veränderungen im Land zu proben. "Wir haben es mit Rebellion zu tun", sagte Kaczynski.

Der ehemalige Präsident Bronislaw Komorowski reagierte in seiner Rede auf dem Verfassungsplatz mit Ironie. "Wir waren schon die schlechtere Sorte, heute sind wir Rebellen. Eine schöne Rebellion!" rief er und erinnerte daran, wie er während des Kommunismus als Oppositioneller als Staatsfeind und Extremist beschimpft worden war. Und er erinnerte daran, dass die Polen unter dem Motto "Alle für die Freiheit" an diesem Samstag an einem besonderen Tag zusammen gekommen waren: Am 4. Juni 1989 waren die teilweise freien Wahlen ein Triumph der Bürgerrechtsbewegung.

Paradoxe Allianz

Zwar hatten die regierenden Kommunisten sich damals 65 Prozent der Parlamentsmandate ausbedungen. Doch die tatsächlich zur Wahl stehenden Mandate fielen an die Widerstandsbeweguing "Solidarnosc". "Erinnern wir uns an den Moment der Freude, als es auf dem Weg der Verständigung und des politischen Kampfes gelang, die polnische Freiheit wieder zu erlangen", rief Komorowski, der an diesem Samstag Geburtstag hatte.

Auf der Bühne stand er Arm in Arm mit einem der Gegner von einst: Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski, im Jahr 1989 eine der Zukunftshoffnungen der Kommunisten. "Wir sind am 4. Juni 1989 auf verschiedenen Wegen zur Wahl gegangen", sagte Kwasniewski. "Das Paradox ist, dass wir heute gemeinsam auf der Bühne stehen."

Paradox auch deshalb, weil der heutige PiS-Chef Kaczynski 1989 zum Oppositionslager gehörte. Doch der Dialog mit den Kommunisten war aus seiner Sicht der falsche Weg, bis heute fordert er Abrechnung mit den einstigen Machthabern.

EU-Kommission eröffnete Verfahren

Seit die PiS im vergangenen November die Regierung übernahm, ist in Polen einmal mehr ein Wind des Wandels zu spüren. Doch mit einem neuen Mediengesetz, mehr Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei und einer umstrittenen Justizreform sehen nicht nur in Polen viele den demokratischen Staat bedroht. Die EU-Kommission eröffnete ein Verfahren zum Schutz des Rechtsstaates.

Einer fehlte am Samstag auf der Bühne: Der einstige Arbeiterführer und Ex-Präsident Lech Walesa, der zusammen mit Komorowski und Kwasniewski zum Freiheitsmarsch aufgerufen hatte. Gesundheitliche Gründe, hieß es. Allerdings ist Walesa auch bekannt dafür, dass er das Rampenlicht nicht gerne teilt.

Immerhin: Auch der Solidarnosc-Gründer war gewissermaßen mit dabei, als der von den Ex-Präsidenten unterzeichnete Appell an die Völker Europas verlesen wurde: "Von den Straßen und Plätzen, auf denen einst (die unabhängige Gewerkschaft) Solidarnosc geboren wurde, rufen wir einmal mehr alle Europäer zur Solidarität auf. Wir glauben, damals wie heute hängt alles von uns ab."

(APA/DPA/Eva Krafczyk)

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