Libyens Premier: "Bei uns können die Migranten nicht bleiben"

Fayez al-Sarraj
Fayez al-Sarraj (c) APA/AFP/STRINGER (STRINGER)
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Libyens international anerkannter Premier Fayez al-Sarraj spricht über die Aussichten auf Einigung des Landes und den Unwillen, von der EU Migranten zurückzunehmen.

Aus Libyen kommen seit der Revolution 2011 meist nur schlechte Nachrichten: Islamisten, ertrunkene Flüchtlinge, plündernde Milizen und rivalisierende Regierungen im Osten und Westen. Nun soll alles anders werden: Eine von der UN unterstützte Einheitsregierung soll das Chaos beenden. Ihr Premierminister ist Fayez al-Sarraj aus einer angesehenen Familie aus Tripolis. Seit März residiert er in einer Marinebasis der Hauptstadt und hat schon Erfolge erzielt. Unter seiner Regie wurde eine Offensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gestartet. Aus der EU abgeschobene Migranten wolle sein Land indes nicht aufnehmen, sagt er.

Die Presse: Ihre Truppen sind vor Sirte auf dem Vormarsch. Glauben Sie, dass der IS in der ehemaligen Heimatstadt Muammar Gaddafis bald besiegt wird?

Fayez al-Sarraj: Es kämpfen Truppen aus ganz Libyen gegen den IS. Sirte wird von Westen, Osten und Süden angegriffen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der IS besiegt ist.

Wie wichtig ist ein Sieg über den IS für Sie und die Einheitsregierung?

Sehr, sehr wichtig. Er gibt uns die Kontrolle über die Gebiete des IS. Außerdem hoffen wir, damit alle Libyer hinter uns zu vereinen.

Mit einer Niederlage des IS ist der Kampf gegen den Terror nicht beendet. Sie haben noch al-Qaida im Land!

Ja. Der Kampf wird länger dauern. Aber auch andere terroristische Gruppen werden bekämpft, und das zur angemessenen Zeit.

In Tripolis sieht man lange Schlangen vor den Banken. Es gibt zu wenig Bargeld, der Wechselkurs des Dinars fällt ständig. Neben den rivalisierenden Regierungen in Ost- und Westlibyen gibt es auch zwei Zentralbanken. Mit einem Ausweg aus der Krise scheint das wenig zu tun zu haben.

Daher trafen einander letzte Woche Vertreter beider Banken in Tunesien. Es wurden Entscheidungen getroffen, mit denen man die Probleme in den Griff kriegen will. Schnelle Resultate wird es nicht geben, aber wir haben ein positives Projekt auf den Weg gebracht.

Den Libyern wird das nicht reichen. Sie wollen schnelle Lösungen, denn sie haben das Vertrauen in die Politik verloren.

Wir kennen die Probleme der Leute. Es gibt eine Kluft zwischen dem, was man früher für sein Geld bekommen hat und was man heute kriegt. Angestellte können nur einen kleinen Teil ihres Gehalts abheben. Wir arbeiten an Lösungen, haben aber keine magische Formel. Der erste und wichtigste Schritt ist, die zweigeteilten Institutionen zu vereinen. Es gibt bereits Erfolge. Die hohen Lebensmittelpreise wurden auf die Hälfte reduziert.

Der Osten ließ eigene Banknoten in Russland in Milliardenhöhe drucken. Sie sollen bald in Umlauf kommen. Verstärkt das nicht die Inflation und die Krise?

Die drohenden Auswirkungen sind jedem klar. Wir arbeiten daran, sie zu vermeiden. Erst müssen wir sicherstellen, dass die Noten nach offiziellen Kriterien gedruckt wurden.

Ein militärisches Problem sind die unzähligen, oft verfeindeten Milizen. Sie kontrollieren ganze Stadtgebiete und den Flughafen von Tripolis. Sind die Milizen nicht die wahren Herren von Libyen?

Sie sollten das nicht so negativ sehen. Zumal die Gruppen offiziell dem Verteidigungs- oder Innenministerium unterstellt sind. Ich bin gerade dabei, alle von ihnen zu kontaktieren, um sie zusammenzubringen. Ich versichere Ihnen, sie haben gegen den Aufbau einer einzigen Armee und Polizei nichts. Natürlich sind einige einander nicht gut gesinnt. Wichtig ist es also, dass alle unsere Minister endlich in ihre Büros einziehen und arbeiten. Es ändert sich vieles sehr schnell, wenn es feste Strukturen gibt.

Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bot Ihnen Schutz an. Auch andere europäische Länder würden Ihnen und Libyen sofort zu Hilfe eilen.

Wir wissen, die internationale Gemeinschaft ist bereit, zu helfen. In unserem Kampf gegen den Terror brauchen wir Hilfe aus dem Ausland, aber keine Militärintervention. Wir heißen jede Unterstützung willkommen, brauchen aber keine fremden Truppen hier.

Als Intervention sähe man das nicht – eher als Antwort auf ein Hilfegesuch.

Hilfe im Anti-Terrorkampf ist eine Sache. Was aber in den Medien übertrieben dargestellt wird, nämlich, wir hätten um Bodentruppen gebeten, stimmt nicht. Das ist gegen unsere Prinzipien, wir wollen das vermeiden.

Und Luftangriffe gegen Extremisten?

Unser Militär hat nur um Satellitenbilder, Geheimdienstinformationen und technische Unterstützung angefragt. Was wir brauchen, legen unser Militärspezialisten fest. Es geht um Logistik, nicht um Bomben.

Kürzlich wurden an der libyschen Küste über 100 Leichen von Flüchtlingen geborgen. Was wollen Sie gegen Migration tun?

Es ist bedauerlich, dass die Strände des Landes Ausgangspunkt von Menschenschmuggel sind. Sie sollten Plätze des Tourismus und Handels sein. Die Küste wurde ein Ort der Todesboote. Und das bringt viele, vor allen Dingen humanitäre, Probleme mit sich. Nur: Die Migration lässt sich ganz bestimmt nicht mit der Bombardierung von Booten lösen, wie es in Europa diskutiert wurde.

Was sollte man sonst machen?

Lösungen für die Ursprungsländer der Migranten finden. Sie brauchen politische, wirtschaftliche Stabilität und Entwicklung. Wir brauchen mit der EU eine gemeinsame Vision, um das Problem beenden zu können.

Würden Sie Flüchtlinge, die von Libyen nach Italien gelangt sind, wieder aufnehmen? Nach einem ähnlichen Verfahren, wie es die EU mit der Türkei vereinbarte?

Nein, Libyen akzeptiert Immigranten nicht, die man zurückschickt. Die Situation der Migranten, die aus dem Süden zu uns kommen, ist völlig anders als in der Türkei. Das kann man einfach nicht vergleichen. Die EU soll Wege finden, wie sie die Immigranten in ihre Heimatländer zurückschickt. Bei uns können sie nicht bleiben.

Wie ist sonst die Kooperation mit der EU?

Wir verhandeln gerade über das Training unserer Küstenwache, über Unterstützung mit Booten und anderem Material. Was die humanitäre Seite betrifft, da gibt es bereits Hilfe von der internationalen Gemeinschaft.

Und wie soll es in Libyen weitergehen? Wird sich der Osten vom Westen trennen?

Im Osten gibt es viele Leute, die das ablehnen. Ich hoffe, wir finden einen gangbaren Weg, um das zu vermeiden. Ich denke, die Weisheit wird die Oberhand behalten.

Im Osten ist General Khalifa Haftar der starke Mann, der Ihre Regierung nicht anerkennt. Man sagt ihm nach, er wolle nicht nur einen Posten in Ihrem Kabinett, sondern alle Macht. Ist er Feind oder Freund?

Wir werden keinen ausschließen und mit allen verhandeln. Natürlich ist er kein Feind, sondern Partner. Unser Land ist für alle da.

Wann werden Sie die Basis verlassen und in den Amtssitz des Premiers ziehen?

In ein paar Tagen. So Gott will!

ZUR PERSON

Fayez Mustafa al-Sarraj (*1960 in Tripolis, damals Königreich Libyen) ist Architekt und letztlich seit Jänner international anerkannter Premierminister von Libyen. Er wurde 2012 Abgeordneter des Parlaments in Tripolis, später Bauminister und Ende 2015/Anfang 2016 mit Hilfe der UN zum Premier der Einheitsregierung der international anerkannten bzw. nicht anerkannten Parlamente in West- bzw. Ostlibyen ernannt, um den Bürgerkrieg zu beenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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