"Die Vorschläge von Kurz sind eine Kriegserklärung"

Archivbild: Flüchtlinge auf Lesbos
Archivbild: Flüchtlinge auf Lesbos(c) APA/AFP/ARIS MESSINIS (ARIS MESSINIS)
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Der Bürgermeister von Lesbos geißelt die Idee des Außenministers, Flüchtlinge auf seiner Insel festzuhalten. Brüssel lehnt den Kurz-Vorstoß ab.

Wien/Athen/Lesbos/Berlin/Brüssel. Spyros Galinos, der Bürgermeister von Lesbos, brauchte keine Zusammenfassung des Interviews von Sebastian Kurz. Er war bestens informiert. Seine eigene erste Reaktion – Galgenhumor: „Sie meinen also, weil ich ihm nicht persönlich einen Fußtritt verpassen kann, soll ich eine Stellungnahme abgeben?“, erklärt Galinos zunächst auf Anfrage der „Presse“ und wird dann ernst: „Lesbos ist ein Teil der europäischen Ostgrenze, und es ist Teil des unabhängigen und vor allem souveränen Griechenlands, eine Insel mit über 1.600 Quadratkilometern, 85.000 Einwohnern und Tausenden Jahren kultureller Tradition – kein Ellis Island. Für uns sind die Vorschläge eines einzelnen EU-Ministers, die nicht die Politik der EU widerspiegeln, eine Kriegserklärung. Wir werden es nicht zulassen, dass Lesbos ein zweites Alcatraz wird. Wir werden uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen.“

Kurz hatte in der „Presse am Sonntag“ vorgeschlagen, Bootsflüchtlinge nach dem Beispiel Australiens im Mittelmeer abzufangen und dann entweder sofort in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken oder in Asylzentren auf Mittelmeerinseln wie Lesbos oder Lampedusa festzuhalten. „Die Rettung aus der Seenot darf nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein“, sagte Kurz. Das jetzige System führe dazu, dass Jahr für Jahr Tausende Menschen ertränken. Wer illegal nach Europa einreise, solle künftig seinen Anspruch auf Asyl verwirken.
Der Bürgermeister von Lesbos war in seinem Ärger kaum zu stoppen. „Die Vorschläge des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz sind inakzeptabel, beleidigend und verleumden meine Heimatinsel, sie machen Lesbos und Griechenland insgesamt zu einer Lagerhalle von Seelen.“ Die Gedanken von Kurz verrieten, so Spyros Galinos, völlige Ignoranz und logische Inkonsistenz. Auf der einen Seite warne Kurz vor einer Erpressung durch die Türkei. Auf der anderen wolle er die Illegalen gerade dorthin zurückschicken.

Lesbos beherbergt zur Zeit etwa 3800 Flüchtlinge, die die Insel vor Entscheid ihrer Asylanträge nicht verlassen dürfen. Der Bürgermeister, der aus der konservativen Partei stammt und in den Krisenjahren zu den Unabhängigen Griechen wechselte, ist kein Anhänger des Deals zwischen Brüssel und Ankara: „Die Vereinbarung EU-Türkei hat für uns alles schlimmer gemacht. Im Vorjahr passierten Hunderttausende die Insel ohne Probleme, jetzt gleicht sie einem Pulverfass.“ In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Ausschreitungen im geschlossenen Lager Moria.

Kurz stellt Plan am 20. Juni der EU vor

Die Heftigkeit und die Lautstärke mancher Reaktionen mögen Sebastian Kurz überrascht haben. Einen öffentlichen Aufschrei aber hatte er erwartet. Zumindest nach außen hin lässt er sich deshalb davon nicht beeindrucken – und bleibt nach Auskunft seines Sprechers hart auf Kurs: Am 20. Juni, beim nächsten EU-Ministerrat, will der österreichische Außenminister seine rigorosen Pläne für einen Stopp der illegalen Migrations- und Flüchtlingsströme im Mittelmeer seinen europäischen Amtskollegen präsentieren. Einzelne Chefdiplomaten aus Mittelosteuropa und entlang der Balkanroute sind bereits seit Längerem eingeweiht. Von ihnen kann Kurz Rückendeckung erwarten.
Aus Brüssel jedoch wehte ihm am Montag zunächst eine eher kühle Brise entgegen. „Wir kommentieren keine Kommentare“, schickte eine Sprecherin der EU-Kommission voraus, um dann doch recht deutlich zu werden: „Australien ist kein Vorbild für die EU. Die Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU entspricht den Anforderungen des internationalen Rechts, und daran wird sich nichts ändern.“

Hilfsorganisationen und Grüne reagierten empört, der Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zeigte sich „ratlos“, auch Sozialdemokraten geißelten den Vorstoß von Kurz, doch nur auf Landesebene. Burgenlands Landeshauptmann Niessl warf dem Außenminister auf Ö1 vor, von eigener Untätigkeit ablenken zu wollen. Kurz solle lieber ein Rücknahmeabkommen mit Ungarn abschließen. Auf Regierungsebene blieb die SPÖ verhalten. Verteidigungsminister Doskozil meinte, er kenne die Vorschläge nur aus den Medien. Bundeskanzler Kern schwieg eisern.

Diplomatisches Schweigen

Auch auf dem diplomatischen Parkett fielen die Reaktionen auffallend zurückhaltend aus. Ganz so, als hätte das Außenamt nach Veröffentlichung des Interviews beschwichtigende Rundrufe gestartet. Man kenne die Vorschläge bisher nur aus Medienberichten, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert auf Anfrage der „Presse“. Noch läge seinem Land der konkrete Plan nicht vor, den Österreich zur Beratung in europäischen Gremien vorbringen wolle. „Grundsätzlich gilt, was immer die EU tut, muss auf den Grundlagen der europäischen Rechtslage geschehen.“

Italiens Regierung meldete sich gar nicht zu Wort. Auch der Sprecher des griechischen Außenministeriums, Stratos Efthymiou, wollte auf Anfrage der „Presse“ keine Stellungnahme abgeben. Daran änderte zunächst auch die öffentliche Aufforderung der Gemeinde Lesbos, „den geschichtsunkundigen österreichischen Minister in die Schranken zu weisen“, nichts.

Zoltán Kovács hingegen, Sprecher der Orbán-Regierung, hatte am Montag in der ungarischen Botschaft in Wien noch gar nicht richtig Platz genommen, da kam er schon auf die „sehr interessanten“ Ausführungen von Außenminister Kurz zu sprechen. Die ungarische Regierung stimme dem Außenminister in vielen Bereichen zu, sagte er zur „Presse“. Auch der Vergleich mit Australien gefällt in Budapest: Denn dort habe man sich auf das wahre Thema konzentriert: nicht Flucht, sondern Migration. An zumindest einem Punkt stoßen sich die Ungarn aber: Kurz will die Aufnahme von Flüchtlingen aus UNHCR-Lagern über „Resettlement“-Programme erhöhen. „Verpflichtend“ dürfe das nicht sein, so Kovács.

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