Island: Wahlen im Zeichen von Finanzskandalen und Fußballfieber

Iceland v Hungary - EURO 2016 - Group F
Iceland v Hungary - EURO 2016 - Group F(c) REUTERS (Jean-Paul Pelissier)
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Erstmals seit 20 Jahren wählt der Inselstaat am Samstag einen neuen Präsidenten. Favorit ist ein Polit-Underdog, der mit dem System brechen will. Doch im EM-Fieber wird die Wahlbeteiligung wohl gering ausfallen.

Wien/Reykjavík. „Island-Fans, wählt bevor ihr geht!“, titelten isländische Zeitungen vor der Europameisterschaft in Frankreich. Denn wenn heute Island und Österreich aufeinander treffen, befindet sich der Inselstaat im Endspurt des Präsidentschaftswahlkampfes. Angesichts der Aufregung um die EM – das Nationalteam nimmt zum ersten Mal teil – sieht es schlecht mit der Wahlbeteiligung am Samstag aus: Knapp zehn Prozent der rund 330.000 Isländer sind nach Frankreich gereist, um ihre Mannschaft anzufeuern. Es wird erwartet, dass viele Fans selbst nach einem Ausscheiden über das Wochenende dort bleiben. Auch Ex-Nationalspieler Thorgrimur Thrainsson wählte den Fußball: Er hatte im März eigentlich angekündigt, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Nun unterstützt er seine Mannschaft doch lieber als Motivationscoach in Frankreich.

Dabei markiert die Wahl einen Umschwung in Islands politischem System. Nicht zuletzt, da eine ganze Generation mit einem einzigen Staatsoberhaupt aufgewachsen ist. Ólafur Ragnar Grímsson war 20 Jahre im Amt. Favorit um die Nachfolge ist der Historiker und Autor Guđni Jóhannesson. Der politische Underdog war in Island als sachlicher Polit-Kommentator im Fernsehen bekannt, bevor ihn seine Zuseher zur Kandidatur bewegten – das Präsidentenamt wird in Island von Personen aus der Zivilgesellschaft besetzt. So kämpfen etwa noch ein Lkw-Fahrer und eine Dichterin um den Posten.

Politkaste versinkt im Sumpf

Jóhannesson führt die Umfragen mit 51 Prozent der Stimmen klar an. Sein Aufstieg ist ein Zeichen für die Skepsis und das verloren gegangene Vertrauen der Isländer in die Politkaste. Gerade als sich das Land von den Auswirkungen der Finanzkrise 2008 erholte, die zum Kollaps drei großer Banken geführt hatte, brach im April der nächste Sturm über die Vulkaninsel herein. Mit Bananen- und Joghurt-Attacken auf das Parlament zwangen die Bürger Premier Sigmunđ Gunnlaugsson zum Rücktritt. Er war über die Panama-Papers gestolpert. Seine Frau soll eine Briefkastenfirma auf den britischen Jungferninseln unterhalten haben. Wenig später der zweite Schlag: Auch die Familie des scheidenden Präsidenten soll Geld in Offshore-Konten geparkt haben. Bei Neuwahlen im Herbst könnte die Piratenpartei zur stärksten Kraft im Parlament werden.

Die Affären rücken zudem Jóhannessons Hauptwidersacher, den Establishment-Kandidaten Daviđ Oddson, in ein schlechtes Licht. Der Ex-Premier war zur Zeit des Bankenkollapses Nationalbankgouverneur. Das „Time Magazine“ bezeichnet ihn als einen von 25 Menschen, die Mitschuld an der globalen Finanzkrise tragen. Nicht umsonst verspricht Jóhannesson mit dem System vor 2008 zu brechen. Durchaus glaubwürdig: Der 47-Jährige und seine Frau zählten zu den großen Verlierern des Crashs. Sie verloren ihre Jobs. Gleichzeitig distanziert sich der Hoffnungsträger von dem Amtsverständnis seines Vorgängers. Grímsson hatte seine Befugnisse ausgedehnt und Vetos gegen Gesetzesentwürfe eingelegt. Aufgrund des öffentlichen Drucks verweigerte er etwa seine Unterschrift unter das Abkommen zur Schuldentilgung der Pleitebank Icesave.

Jóhannesson hingegen argumentiert, der Präsident solle apolitisch sein und über politischen Parteien oder sozialen Gruppen stehen. Er will Bürger künftig mehr durch Volksabstimmungen einbinden. Jedenfalls hätte Österreich eine besondere sportliche Beziehung zu Jóhannesson, würde er Präsident werden: Sein Bruder ist Trainer des österreichischen Handball-Nationalteams.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2016)

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