Südchinesisches Meer. Der Ständige Schiedshof in Den Haag verneint nach einer Klage der Philippinen Hoheitsrechte der Volksrepublik in der Seeregion. Peking will den Spruch ignorieren.
Peking. Chinas Staatsmedien hatten damit gerechnet: Obwohl der Ständige Internationale Schiedshof in Den Haag seinen Spruch nach chinesischer Zeit erst am späten Dienstagnachmittag verkündete, hatten die meisten Zeitungen in China schon am frühen Morgen getitelt: „Schiedsspruch ungültig“.
Als dieser dann in Den Haag um elf Uhr am Vormittag verkündet wurde, spulten Chinas Medien alte Argumente ab: Der Schiedshof habe sich durch die USA instrumentalisieren lassen, sich in innere Angelegenheiten eingemischt, Chinas Souveränität verletzt. Er sei unzuständig. Das Außenamt hieß den Spruch „null und nichtig“.
Dabei gab es für die fünf Schiedsrichter – renommierte Völkerrechtler aus Deutschland, Polen, den Niederlanden und Frankreich unter Vorsitz des Ghanesen Thomas Mensah – keine Zweifel an der Klage, die 2013 die Philippinen eingereicht hatten und 15 Punkte umfasste. China, so der Succus des Schiedsspruchs, verletzt die UN-Seerechtskonvention von 1982. Kernpunkte: Die „historischen Rechte“, mit denen Peking exklusive Hoheitsgewalt in rund 85 Prozent des Südchinesischen Meers begründet (bis tief in Seegebiete bzw. Ansprüche der Philippinen, Vietnams, Taiwans, Malaysias und Bruneis), wurden von den Regeln der Seerechtskonvention über Hoheitsgewässer und Ausschließliche Wirtschaftszonen „ausgelöscht“, sprich: Sie zählen nicht. China – es hatte sich am Verfahren nur mit einer Stellungnahme beteiligt – habe auch nicht bewiesen, dass es die Region jemals effektiv exklusiv kontrolliert habe.
Um topografische Objekte wie Sandbänke, Riffe, Atolle und Felsen, die bei Flut noch aus dem Wasser ragen, könne man zwar eine Zwölf-Seemeilen-Zone legen, aber keine 200-Meilen-Zone zur exklusiven Bewirtschaftung. Das gehe nur bei Inseln, also Orten, die für menschliches Leben und Bewirtschaftung tragfähig sind und nicht nur von externer Versorgung abhängen. Durch Bauten und Aufschüttungen, wie sie China auf vielen solcher flachen Gebilde – etwa den Spratly-Inseln – errichtet hat, könne man diese nicht zu Inseln im juristischen Sinn machen. Letztlich tauge keine der Spratly-Inseln zum Ziehen einer 200-Meilen-Zone.
„Souveränität verletzt“
China habe die philippinische Fischerei und Ölförderung behindert, philippinische Rechte verletzt und eigene Fischer nicht am Wildern gehindert. Die Bauten im Meer hätten das Ökosystem geschädigt und den Grundsatz verletzt, dass bei anhängigen Streitbeilegungsverfahren keine Partei den Konflikt schüren darf. „China hat die Souveränitätsrechte der Philippinen in deren exklusiver Wirtschaftszone verletzt“, heißt es.
China beansprucht fast das ganze Südchinesische Meer, primär aufgrund von Karten, die bis ins 15. Jahrhundert reichen. Schon in den 1940ern hat es die Grenze mit neun Strichen in Karten markiert, doch konnte das verarmte Land die Ansprüche lang nicht faktisch geltend machen. Erst durch den Aufstieg in den vergangenen rund 20 Jahren fühlt sich China stark genug, das riesige Gebiet militärisch abzustecken. Zuletzt zeigten Luftbilder Dutzende mit Baggern beladene Frachter, und wie Sand und Schutt auf Korallenriffe der Spratlys nahe der philippinischen Küste gekippt werden, um Land zu schaffen. US-Admiral Harry Harris sprach von einer „Großen Mauer“ Chinas im Meer. Auch Vietnam, Malaysia, Brunei, ja das von China Tausende Kilometer entfernte Indonesien protestieren gegen die Landnahme im Meer; Indonesien hat vor wenigen Monaten ein chinesisches Fischereischiff aufgebracht, das in unstrittigen Hoheitsgewässern Indonesiens operierte. Manila wandte sich unter Präsident Benigno Aquino 2012/13 an den Schiedshof. Peking verhängte Wirtschaftssanktionen. Trotz des jetzigen Erfolgs wird die Regierung von Rodrigo Duterte vorerst beschwichtigen (siehe unten).
Größte Handelsroute der Welt
Die USA, andere Pazifikstaaten wie Japan und Australien sowie mittelbar Europa haben ebenfalls Interessen am Südchinesischen Meer: Die rohstoffreiche Region ist auch die wichtigste Schifffahrtsroute der Welt, dort läuft in etwa ein Drittel des Güter-Welthandels durch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2016)