Mit Charme, Charisma und gehöriger Chuzpe

Britain´s Foreign Secretary Boris Johnson addresses staff inside the Foreign Office in London
Britain´s Foreign Secretary Boris Johnson addresses staff inside the Foreign Office in London(c) REUTERS (POOL)
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Nach Achterbahnfahrt schaffte Boris Johnson als Außenminister doch den Sprung in die Regierung.

Lässig, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Kopf wie ein Bulle nach vorn gebeugt, schlenderte der Blondschopf mit dem strubbeligen Haar – seinem Markenzeichen – in die Downing Street zur Audienz bei der neu ernannten Premierministerin. Noch vor wenigen Wochen hatte Theresa May als Innenministerin süffisant über Boris Johnsons Defizit als Londoner Bürgermeister gelästert, als er drei gebrauchte Wasserwerfer in Deutschland bestellt hatte, die zu nichts nütze waren.

Als Außenminister marschierte Johnson schließlich aus dem Amtssitz des britischen Regierungschefs, und dies war der Coup des Abends, der anderntags die Schlagzeilen und Titelbilder der britischen Zeitungen dominierte. Den Posten des Premiers hatte Boris alias „BoJo“, wie ihn seine Landsleute halb liebevoll, halb spöttisch nennen, selbst mit jeder Faser angestrebt, ehe ihn eine Shakespear'sche Intrige seines Mitstreiters Michael Gove in der Rolle des Brutus jäh zu Fall brachte. Johnsons politische Karriere schien – wieder einmal – vorbei. Doch jedes Mal kehrte der heute 52-Jährige wieder zurück auf die Politbühne.

Prädestiniert für Topjob

Der Sohn aus einer schillernden Oberschichtfamilie mit weitverzweigten, auch adeligen Wurzeln, geboren in New York und aufgewachsen in einem chaotischen Haushalt, zum Teil in Brüssel, ausgebildet im Elite-Internat Eton und in Oxford, ist geradezu prädestiniert für einen der Topjobs in der britischen Politik – wenngleich nicht gerade als Chefdiplomat. Als „König der Welt“ habe sich Klein-Boris geriert, erzählt seine Schwester Rachel, eine Journalistin. Vater Stanley saß für die Konservativen im Europaparlament, ein Bruder brachte es zum Minister in der Regierung David Camerons.

Studienfreunden in Oxford, wo Johnson Altphilologie studierte, galt er schon damals als künftiger Premier. Er brillierte im Debattierklub, er führte den Vorsitz in der Oxford Union, der Studentenvertretung. Neben ihm verblassten Kommilitonen wie Gove, wie sein späterer Rivale Cameron und Ex-Finanzminister George Osborne, allesamt Mitglieder des für seine Saufgelage und Exzesse bekannten Bullingdon Club.

Homers „Ilias“ bezeichnet Johnson noch heute als Lieblingsbuch, und er wünscht sich ins Zeitalter des Perikles in Athen zurück. In der Zwischenzeit hat er einen Roman verfasst („72 Jungfrauen“) und eine Churchill-Biografie vorgelegt, die ihm quasi als Handlungsanleitung dient. Als konservativen, mitunter exzentrischen Rebellen à la Churchill, ohne große Loyalitäten, aber mit einem Draht zum Volk – so charakterisiert sich Johnson, der zuletzt eine Shakespeare-Biografie begonnen hat.

Margaret Thatchers Darling

Als Journalist, erst bei der „Times“ und nach dem Rauswurf als Brüssel-Korrespondent des „Daily Telegraph“, avancierte er zum Darling Margaret Thatchers und zur Hassfigur von Nachfolger John Major. Boris Johnson polarisiert, ob als Herausgeber des konservativen Wochenmagazins „Spectator“ oder als Politiker, der es mit der Wahrheit nie so genau nahm – auch nicht gegenüber seiner Frau.

Mit Charme, Charisma und gehöriger Chuzpe schwindelte sich Johnson über alle Affären – mit zumindest einem unehelichen Kind – hinweg. Jenseits der Parteigrenzen haben die Londoner ihren Boris als Bürgermeister und Biker lieb gewonnen, zu Zeiten von Olympia 2012 geriet er zur Galionsfigur der schrulligen Briten, als er eine halbe Ewigkeit an einem defekten Drahtseil baumelte, was sein Image als Spaß- und Paradiesvogel nur bestärkte.

Als passionierter Verfechter des Brexit outete er sich in einer Kolumne des „Daily Telegraph“ erst, als er sich Chancen ausrechnete, die Nachfolge Camerons anzutreten – ein Poker, den er zur eigenen Überraschung gewann, um dann doch als Verlierer dazustehen. Da half hinterher kein staatsmännisches Gerede. Als Außenminister, von den Kollegen scheel betrachtet, tauchte er nun aus dem politischen Orkus auf, und gegenüber den Größen der Welt – dem „Halbkenianer“ Obama, der „sadistischen Krankenschwester“ Clinton oder Erdoğan, dem „Wichser von Ankara“ – muss er die spitze Zunge hüten und die Fantasie im Zaum halten, um nur ja keine Staatsaffäre zu riskieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2016)

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