Akademiker dürfen die Türkei nicht verlassen

Das Kemal-Atatürk-Denkmal in Istanbul - fotografiert durch eine durchschossene Scheibe.
Das Kemal-Atatürk-Denkmal in Istanbul - fotografiert durch eine durchschossene Scheibe.(c) APA/AFP/DIMITAR DILKOFF (DIMITAR DILKOFF)
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Die Hochschulverwaltung verbietet türkischen Akademikern die Ausreise. Ankara suspendiert weitere 900 Polizisten. Wikileaks veröffentlichte AKP-Mails.

Während die Entlassungs- und Inhaftierungswelle in der Türkei weiterhin im Gang ist, versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nun, die Akademiker seines Landes an einer Ausreise zu hindern. Die türkische Hochschulverwaltung hat Universitätsabsolventen verboten, außer Landes zu reisen. Der amtliche Sender TRT gab am Mittwoch keine Einzelheiten dazu bekannt.

Auch vier Universitätsrektoren seien suspendiert worden, berichtet der öffentliche Sender NTV. Sie hatten Erdogan zum Rücktritt aufgefordert. Am Dienstag waren bereits 1577 Dekane an allen Universitätern des Landes zum Rücktritt aufgefordert worden. Ihnen wird eine Nähe zum angeblichen Putschversuch-Drahtzieher Fethullah Gülen vorgeworfen.

Von der European University Association (EUA) kam daher heftige Kritik. "Die EUA verurteilt diese Aktionen gegen Universitäten und deren Mitarbeiter scharf und bedingungslos und versichert den Hochschulangehörigen in der Türkei ihre aufrichtige Unterstützung in diesen Zeiten", heißt es in der Aussendung. Die Türkei brauche nach dem versuchten Militärputsch mehr als je zuvor Redefreiheit, öffentliche und offene Debatten, wie diese an den Unis gepflegt würden. Die EUA rief deshalb alle Regierungen, Universitäten und Wissenschafter Europas dazu auf, ihre Stimme gegen die aktuellen Entwicklungen zu erheben.

Militärrichter suspendiert

Nachdem seit dem Putschversuch vergangenen Freitag bereits etwa 50.000 Soldaten, Polizisten, Richter, Beamte und Lehrer entlassen wurden, suspendierte Ankara am Mittwoch weitere 900 Polizisten sowie 262 Militärrichter und -  staatsanwälte. Bereits am Montag wurden im gesamten Land rund 8000 Polizisten vorübergehend ihres Amtes enthoben. Seit Samstag wurden 8500 Menschen festgenommen.

Vizekanzler und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner kritisierte sowohl das Verbot von Auslandsreisen als auch Erdogans Rücktrittsaufforderung an die Hochschuldekane. "Das ist der absolut falsche Weg. Gerade Universitäten sind ein Ort für geistige Auseinandersetzung, Toleranz und Freiheit. Wissenschaft und Forschung leben vom internationalen und interdisziplinären Austausch", so Mitterlehner zu den "äußerst beunruhigenden Nachrichten".

Wikileaks hat AKP-Mails veröffentlicht

Die Enthüllungsplattform WikiLeaks hat indessen Hunderttausende E-Mails der türkischen Regierungspartei AKP veröffentlicht. Am späten Dienstagabend schaltete die Organisation auf Twitter einen Link, der zu einer Art Suchmaschine auf ihrer Webseite führt. Dort können die E-Mails nach einzelnen Begriffen oder Sätzen durchsucht werden. Die Seite ist jedoch seit der Freigabe blockiert und kann nicht geöffnet werden.

"WikiLeaks veröffentlicht den ersten Teil der AKP-E-Mails", war auf der Seite zu lesen. Die Datenbank bestehe aus 762 Posteingängen und insgesamt 294.548 E-Mails. Sie seien jeweils von Adressen verschickt worden, die der Homepage der AKP zuzuordnen seien. Der Inhalt solcher Mails beziehe sich aber meist nicht auf Interna der Regierung, sondern auf "Beziehungen mit der Welt", also vermutlich auf außenpolitische Themen. Die aktuellste Mail sei am 6. Juli verschickt worden, die älteste stamme aus dem Jahr 2010. Das Material sei eine Woche vor dem Putschversuch in der Türkei erlangt worden.

Die Veröffentlichung der Dokumente hatte WikiLeaks bereits am Montag auf Twitter angekündigt. Später teilte die Organisation dann mit, dass es "anhaltende Attacken" auf ihre Infrastruktur gebe. Kurz vor der Veröffentlichung der Dokumente erklärte sie in einem weiteren Eintrag: "Es scheint, als hätten wir den ganztägigen Cyberkrieg gewonnen. Die AKP-Emails erscheinen in Kürze."

Festnahmen wegen Einträgen in sozialen Medien

Kritik im eigenen Land an der AKP-Regierung ist kaum mehr möglich. Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Unterstützer der gescheiterten Putsches müssen derzeit bei entsprechenden Einträgen in sozialen Medien mit Besuch der Polizei rechnen. In mehreren türkischen Städten seien sieben Personen festgenommen worden, die den Putschversuch gelobt oder Erdogan kritisiert hatten. Dies meldete unter anderem "CNN Türk" in der Nacht zum Mittwoch.

Den Festgenommenen werde unter anderem vorgeworfen, mit Einträgen in sozialen Medien "die verfassungsmäßige Ordnung gestört", "Kriminelle gelobt" oder Erdogan beleidigt zu haben. Die Zeitung "Cumhuriyet" berichtete, dass im nordwesttürkischen Tekirdag ein 18-Jähriger nach angeblicher Beleidigung des Präsidenten verhaftet worden sei.

Nach dem Putschversuch hatte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu von einer Aufforderung der Polizeidirektion Ankara berichtet, Profile zu melden, die "terroristische Aktivitäten" unterstützten und "schwarze Propaganda" betrieben. Bürgern wurde empfohlen, Screenshots (Bildschirmfotos) anzufertigen und die Profilinformationen der verdächtigen Nutzer weiterzugeben. Unklar war, ob die jüngsten Festnahmen auf die erbetenen "Meldungen" zurückzuführen sind.

(APA/dpa/Reuters)

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