Ein Islambuch und Frankreichs viele Tote

Ein katholischer Mönch und ein muslimischer Kirchgänger stehen am 31. Juli 2016 in Nizza ruhig vor Messbeginn zusammen.
Ein katholischer Mönch und ein muslimischer Kirchgänger stehen am 31. Juli 2016 in Nizza ruhig vor Messbeginn zusammen.(c) APA/AFP/JEAN CHRISTOPHE MAGNENET
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Warum hat ein Pariser Verlag plötzlich die französische Übersetzung des Buchs "Der islamische Faschismus" zurückgezogen? "Die Presse" sprach mit dem erzürnten Autor Hamed Abdel-Samad und Verleger Jean-Marc Loubet.

Vente Nr. 1“ steht auf der französischen Amazon-Seite neben dem Cover, glaubt man dem, ist dieses Buch das derzeit meistverkaufte Sachbuch aus dem Bereich Geschichte und Philosophie. Alles begierige Vorbestellungen, denn „L'Islamisme est-il un fascisme?“ ist noch nicht publiziert.

Und wird es in dieser Form nie werden, auch wenn Amazon unverdrossen sein Erscheinen für den 16. September ankündigt. Der Piranha-Verlag hat sich entschlossen, die französische Übersetzung des in Deutschland viel diskutierten Bestsellers „Der islamische Faschismus“ doch nicht zu publizieren. Dessen Autor, Hamed Abdel-Samad, hat das vor ein paar Tagen auf Facebook öffentlich gemacht und auch die Begründung, die der Verleger Jean-Marc Loubet ihm in einem Brief gegeben hat: Sorge um die Sicherheit der Mitarbeiter und – angesichts des spannungsgeladenen gesellschaftlichen Klimas seit dem Nizza-Attentat – Sorge, mit den Thesen des Buchs der extremen Rechten in die Hände zu spielen.

In „Der islamische Faschismus“ vergleicht Abdel-Samad die Entstehung der Muslimbruderschaft in der Zwischenkriegszeit mit dem italienischen Faschismus und dem Nationalsozialismus; und er führt das faschistoide Gedankengut des Islamismus auf die Wurzeln des Islam zurück. Ein interessantes Buch, auch wenn es in der Methodik und in manchen Details diskutierbar ist. Kannte der Verleger den Text nicht gut genug? Warum hat er vor zwei Jahren die Rechte gekauft und eine Übersetzung finanziert, nur um das Buch im letzten Moment zurückzuziehen? Wurde er unter Druck gesetzt?

„Inzwischen haben wir viele Tote“

„Die Presse“ fragte nach und erreichte Verleger Jean-Marc Loubet im Urlaub. „Wir haben die Rechte im Oktober 2014 gekauft, nachdem das Buch in Deutschland erschienen ist“, erzählt er. „Damals war unser Verlag ganz neu, wir kauften viele Titel im Ausland, die uns interessant schienen, und dieses Buch schien mir ein guter Debattenbeitrag. Seit ein paar Monaten ist die Übersetzung fertig. Ich habe immer wieder über das Buch nachgedacht, weil es doch polemisch ist, dachte aber, wir bringen es trotzdem. Aber inzwischen haben wir viele Tote, und ich finde, der Kontext hat sich total verändert. Das Klima ist extrem angespannt.“ Dazu komme tatsächlich auch eine gewisse Angst. „Wir sind eine ganz kleine Mannschaft, fünf Leute, und ich habe sie gefragt: ,Wollt ihr das Risiko eingehen?‘ Alle fünf haben Nein gesagt.“

„Das zweite Argument verstehe ich, das erste macht mich wütend, es ist Heuchelei“, reagiert Hamed Abdel-Samad gegenüber der „Presse“. „Wo soll die Debatte noch geführt werden, wenn sich Unis und Verlage zurückziehen? Genau damit überlässt man der extremen Rechten das Terrain. In Hamburg wurde ich zu einem Vortrag geladen, dann hat die Uni nach Protesten den Raum wieder abgesagt, um den ,inneren Frieden‘ nicht zu gefährden. Das passiert immer wieder.“

Der (Selbst-)Zensur aus Angst, an sich triftige Argumente und Fakten könnten von der „falschen“ Seite genutzt werden, begegnet man mittlerweile täglich. Allerdings ist der offenbar nur dem Namen nach angriffslustige Piranha-Verlag keine öffentliche Institution, die den freien Austausch der Argumente fördern soll, sondern ein kleines, junges Privatunternehmen, das auf einem schwierigen Markt seine Nische sucht. Und im Lauf des Gesprächs mit Jean-Marc Loubet wird klar: Vielleicht der wichtigste Grund für seine Entscheidung ist die Sorge um das öffentliche Profil seines Verlags, das er gerade aufzubauen versucht; Loubet fürchtet, bekennt er nun, durch Abdel-Samads Buch „in eine Ecke gedrängt“ zu werden. „Ein großer Verlag kann sich das erlauben. Bei uns genügt ein einziges solches Buch, um das öffentliche Bild von uns zu prägen.“ Um das Buch, das in Deutschland ein Bestseller war, braucht man sich nicht zu sorgen – die Übersetzung liege nun bei zwei großen französischen Verlagen, sagt Literaturagent Michael Welzel der „Presse“; außerdem hat ein kleinerer Verlag („Ring“) großes Interesse angemeldet.

Kunstwerk „Before I Die“ in Paris

Mehr Sorge kann bereiten, dass schon die nächste ängstliche Diskussion darüber im Gang ist, was man in welchem Kontext noch sagen und zeigen darf. Im Pariser Bahnhof Gare de Lyon kann man neuerdings auf Tafeln schreiben, was man vor seinem Tod noch machen will; die US-Künstlerin Candy Chang kam nach dem Tod eines geliebten Menschen auf die Idee zu dieser Installation namens „Before I Die“, die schon in vielen Ländern, auch Österreich, präsent war. Als „makaber“ und „schrecklich“ wird das nun in Medien und sozialen Netzwerken kritisiert: wegen der Anschläge. Das Thema Tod tröstlich-gelassen zu behandeln wie hier – wäre nicht gerade das eine adäquate Reaktion?

ZUR PERSON

Hamed Abdel-Samad (44), ägyptisch-deutscher Publizist, ist bekannt für seine islamkritischen Aussagen und Bücher („Der islamische Faschismus“, „Mohamed – Eine Ab-
rechnung“). Geb. bei Kairo, studierte in Deutschland Sprachen, Politik. Nach seiner Aussage, faschistoides Denken sei im Islam angelegt, reagierte ein Geistlicher 2013 mit einer Mord-Fatwa. [ Inga Kjer/EPA/picturedesk.com ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2016)

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