IS steigt in Libyen ins Schleppergeschäft ein

Von der Marine gerettete Flüchtlinge in Libyen.
Von der Marine gerettete Flüchtlinge in Libyen.APA/AFP/GABRIEL BOUYS
  • Drucken

Aus dem Irak stammende Kader errichteten in Nordafrika ein bestens organisiertes Schleusernetz. Das bringt nicht nur Geld, sondern schafft Möglichkeiten für Attentäter, nach Europa zu gelangen.

Wien/Sirte. Eigentlich deuteten die Analysen der Nachrichtendienste und Sicherheitsberater in eine andere Richtung. Nun scheint eingetreten, womit zu Beginn des Jahres kaum jemand gerechnet hat: Der Ableger des sogenannten Islamischen Staats (IS) hat auf dem von ihm kontrollierten Territorium in Libyen ein offenbar bestens funktionierendes Schleusernetzwerk errichtet. Damit wurde die Terroristenmiliz einerseits ein bedeutender Player im höchst lukrativen Schleppergeschäft und schaffte sich andererseits eine – aus ihrer Sicht – genauso wichtige Logistikinfrastruktur.

„Der Organisationsgrad dieser Strukturen ist sehr hoch“, sagt Gerald Tatzgern. Als Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität im Bundeskriminalamt steht er in engem Kontakt mit in- und ausländischen Polizeibehörden, berücksichtigt dabei auch Analysen von Europol und Nachrichtendiensten. Sowohl seine Behörde als auch Partnerdienststellen hätten stichhaltige Informationen darüber, dass die Extremisten mittlerweile viel Geld mit dem Durchschleusen von Flüchtlingen verdienen. Darauf würden unter anderem zahlreiche Zeugenaussagen von Geschleppten hindeuten. Dabei ist erst vor wenigen Monaten ein geheimes Regierungspapier öffentlich geworden, das von einer stark nachlassenden Bedeutung Libyens für die Speisung der Mittelmeerroute ausgegangen ist. Eben wegen der Aktivitäten des IS dort und aller daraus auch für Flüchtlinge ableitbaren Unsicherheiten.

Militärisch organisiertes Netz

Es kam anders. Nach heutiger Kenntnis wurde das Schleppernetzwerk von aus dem Irak stammenden IS-Kadern aufgezogen, die für ebendiese Aufgabe nach Nordafrika entsandt wurden. Entsprechend straff, effizient und nach militärischem Vorbild organisiert soll das Netzwerk sein, das vom Transfer durch Afrika über die Beschaffung falscher Dokumente bis hin zur Einschiffung auf die Kähne alles abdecken kann. Dass die Rechnung der Extremisten aufgeht, sehen Sicherheitsbehörden auch dadurch bestätigt, dass die Zahl der Überfahrten auf dem Mittelmeer unverändert hoch ist. Auf fünf bis sechs Milliarden Dollar schätzt Europol die weltweiten Einnahmen der Schlepper jährlich. Ein Teil davon fließt nun in die Kassen des IS.

Mit dem Aufbau eines Schleppernetzwerkes haben die Extremisten nach Einschätzung der Sicherheitsdienste zudem eine für sie wichtige Infrastruktur geschaffen. Demnach müsste sich der Islamische Staat bei der Entsendung von Attentätern nach Europa nicht mehr auf die Dienste krimineller Banden verlassen, sondern hätte er es selbst in der Hand, die betroffenen Personen in die Zielgebiete innerhalb der EU zu bringen. In einem aktuellen Bericht, den Europol und Interpol gemeinsam verfasst haben, wird ausdrücklich vor dem Szenario gewarnt, dass Jihadisten mithilfe von Schleppern verstärkt nach Europa gelangen könnten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.