Ein Hoffnungsträger für Tunesien

Internationale Erfahrung: Youssef Chahed.
Internationale Erfahrung: Youssef Chahed. (c) REUTERS (ZOUBEIR SOUISSI)
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Der Agrarwissenschaftler Youssef Chahed ist zum jüngsten Premierminister des Landes gewählt worden. Er hat auch gleich seiner Regierung eine Frischzellenkur verordnet, inklusive einer Finanzministerin.

„Wir haben versagt, die Träume der Revolution mit Leben zu erfüllen. Unsere Jugend ist dabei, ihre Hoffnung zu verlieren“, rief er in das Auditorium, das ihn mit stehenden Ovationen feierte. Im Rund des Bardo-Palastes saßen 195 der 217 Parlamentarier Tunesiens, am Ende der charismatischen „Ruckrede“ wählten sie mit überwältigender Mehrheit Youssef Chahed zum neuen Regierungschef und sprachen seiner Einheitsregierung das Vertrauen aus.

„Wir sind alle verantwortlich, wir alle müssen Opfer bringen“, sagte der Gefeierte und warb dafür, „das Interesse des Vaterlandes über alle ideologischen Differenzen zu stellen.“ Unter den Landsleuten gilt er als integer, die Zeitungen lobten seinen Auftritt als erfrischend, zeitgemäß und inspirierend.

Youssef Chahed ist mit bald 41 Jahren der jüngste Regierungschef in der Geschichte Tunesiens. Geboren wurde der Vater einer Tochter 1975 in Tunis, wo er Agrarwissenschaften studierte – ein Fach, in dem er 2003 in Frankreich über die „Auswirkung der Liberalisierung von Agrarmärkten“ promovierte. Er spricht Arabisch, Französisch, Englisch und Italienisch, er arbeitete als Gastprofessor an Universitäten in Paris, Tokio und São Paulo. Nach dem Arabischen Frühling 2011 kehrte er in seine Heimat zurück und ging in die Politik.

Oma als Polit-Pionierin

Sie liegt dem begabten Redner im Blut, seine Großmutter, Radhia Haddad, war eine bekannte tunesische Feministin und politische Pionierin. Bereits in den 1950er-Jahren war sie eine der ersten weiblichen Abgeordneten des tunesischen Parlaments – ein Mandat, das sie vier Legislaturperioden innehatte.

2012 gründete Chahed die sozialliberale Partei Al Joumhouri. Ein Jahr später schloss er sich der von Beji Caid Essebsi, dem 89-jährigen Präsidenten Tunesiens, gegründeten säkularen Sammlungspartei Nidaa Tounes an, deren Vorstand er angehört. Nach deren Sieg bei der ersten regulären demokratischen Parlamentswahl in Tunesien 2014 wurde Chahed im Kabinett seines Vorgänger Habib Essid Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, zuständig für Fischerei. Nach einer Kabinettsumbildung wurde er heuer Leiter des neu geschaffenen Ministeriums für lokale Angelegenheiten. Am Montag übergab Essid in einer Feierstunde die Amtsvollmachten an seinen um eine Generation jüngeren Nachfolger.

In dessen 40-köpfigem Kabinett sitzen Parteimitglieder – von Nidaa Tounes bis zur islamistischen Ennahda-Partei – sowie Unabhängige. Einige Mitglieder der Vorgängerregierung – darunter Innen-, Verteidigungs- und Außenminister – durften bleiben. Sonst aber gab es einschneidende Veränderungen. Fünf Regierungsmitglieder sind jünger als 35 Jahre, acht sind Frauen, und mit Lamia Zribi führt eine von ihnen jetzt sogar das Finanzministerium. Großmutter Radhia Haddad hätte sich sicher gefreut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2016)

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